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Parabelflug

Der Parabelflug

oder

Wie mich der MDR an den Rand des Weltraums brachte

Deutsches Fernsehen ist überall.

Diese den urbanen Bewohnern deutscher Weltmetropolen geläufige Erkenntnis ereilte mich ganz spontan während meines Urlaubs. Im Sommer 2004 verbrachten meine Familie und ich unsere Zeit im Spreewald und unternahmen -naheliegend- einen Tagesausflug nach Dresden. In jenem zentralsächsischen Kleinod bewegten wir uns nach einem Museumsbesuch ca.200m vorwärts, und schon stürmte einer der dort auf medial wirksame Beute lauernden MDR-Mitarbeiter auf meine Frau zu. Auf dessen spontane Frage, ob sie wohl an einem Parabelflug teilnehmen möchte, antwortete sie brav "NEIN!", schob aber den Kamerabewaffneten mit der Bemerkung "Aber mein Mann bestimmt..." in meine Richtung. Kurz und gut: so kam ich zu meinem ersten Parabelflug, in diesem Falle auch noch spendiert vom MDR-Fernsehen. Völlig überrumpelt und natürlich auch angenehm überrascht sprach in die Kamera: "Natürlich mach' ich einen Parabelflug mit!". Der Umstand, dass ich damit auch noch zum "Retter" des Moderators Mario Richter avancierte, der nunmehr erst 3 Minuten vor Ablauf seiner selbstgesetzten Zielzeit von 1 Stunde jemanden fand, der die in seinen Augen unliebsame Aufgabe für ihn übernahm (sonst hätte er es laut Reglement selber tun müssen), belustigte uns äußerst. Es hatte sich in der zurückliegenden Stunde tatsächlich in Dresden kein Mensch zu einem Parabelflug überreden lassen! 
Die Redensart "Gut Ding will Weile haben" trifft zwar im allgemeinen zu, jedoch blieb uns in diesem Fall nicht mehr viel davon übrig: der Flug war bereits für den nächsten Tag in Leer/Ostfriesland (EDWF, also am letzten Zipfel vor den Niederlanden) geplant. Eine kurze Absprache, bei der ich mit Sicherheit schon absolut aufgeregt war, klärte dann noch die Einzelheiten. Aufgrund der doch recht weiten Anreise bis nach Leer war noch eine Zwischenübernachtung in einem Magdeburger Hotel geplant - von dort sollte es dann am nächsten Morgen um 4.00Uhr losgehen. Schließlich war der Beginn der Veranstaltung auf 7.00 festgesetzt. Nach eiliger Abfahrt aus Dresden packten wir am Urlaubsort unsere Sachen zusammen und rollten mitsamst unserem Urlaubsgepäck gen Magdeburg. Für dieses riesige Flugerlebnis beendeten wir spontan unseren Urlaub im Spreewald - dafür nahmen wir gerne 2 Tage weniger in Kauf.

Die Nacht war kurz, trotzdem betrat ich in gefasster Haltung und nur wenig aufgeregt die Bühne. Welche am Anfang darin bestand, erst einmal nach Leer zu fahren. 2 Autos der MDR-Mitarbeiter schafften uns in behendem Tempo nach Ostfriesland, und auch während dieser Fahrt konnte man sich auf beste mit den Leuten unterhalten. Mein Blickwinkel über die Arbeit eines Produktionsteams beim Fernsehen erweiterte sich ungemein...

Short Skyvan -Pink- Erste Begutachtung D.Köhler von weltraumtouristik.de und _mein_ fliegender Kameramann; im Hintergrund die Skyvan mit dem Sicherheitsnetz Das Dreh-Team   meine Familie Im Rumpf des Ungeheuers: Moderator Mario Richardt, ich, mein Sohn Johannes Schwebeversuche; im Hintergrund P.Bierl und Tanja Lehmann Schwebeversuche; im Hintergrund P.Bierl und Tanja Lehmann Starker Andruck (sind das jetzt 2g ?)

In Leer angekommen, empfing uns der Veranstalter der Parabelflüge. Paul Bierl mit seiner Firma Pauls Parabelflüge war aus Österreich zu einem allerersten deutschen Veranstaltungstermin eingeflogen. Somit war ich, gemeinsam mit anderen "Probanden" der an diesem Tage stattfindenden 2 Flüge, Teilnehmer der ersten deutschen Parabelflüge. Professionell trägt so etwas dann den Titel "APM - Austrian Parabol Mission". An seiner Seite war auch der deutsche Vertreter zugegen: Detlef Köhler als Inhaber von weltraumtouristik.de. Unter der Regie dieser beiden werden diese Parabelflüge -bei Kleingeld von 700€ für jedermann möglich- in Österreich, in Tschechien und nun auch Deutschland veranstaltet.

Das geschulte Fliegerauge :-) bemerkte am Rollfeld sogleich auch die kribbelbunt bemalte Short Skyvan, die sich der Veranstalter für seine Unternehmungen gechartert hat. Neben der lustigen Bemalung hat die Maschine den Vorteil eines rechteckigen Rumpfquerschnittes. Damit können sich jeweils 4 Mann schwerelos im gut gepolsterten Frachtraum der Maschine bewegen, ohne pausenlos an die Wände oder gegen andere Mitflieger zu segeln. Als ehemaliger Flieger ist man die robuste Ausführung der Zelle und die richtig satten Motorengeräusche einer solchen 30 Jahre alten Maschine gewöhnt und freut sich am urwüchsigen Zustand. Nicht so die Männer vom MDR, allen voran der Moderator (ja der, den ich gerettet habe); nach seiner Aussage würde er wohl in kein Flugzeug unter einer "richtigen" Boeing oder Airbus klettern. Aber das ist ja alles Busfahren... Mich hat's jedenfalls gefreut und ich war schon gespannt auf die Schwerelosigkeit. Unvermeidlich bei einer jeden Veranstaltung dieser Art sind die Sicherheitsbelehrungen und der Schriftkram im Vorfeld. Nachdem wir auch das hinter uns gebracht hatten und jeder prophylaktisch seine Kotztüte erhielt, ging es für die erste Besatzung los. Das Wetter bewegte sich an der Grenze der Fliegbarkeit, und so verzögerte sich der nächste Start, der mich in den Himmel befördern sollte, um eine gute Stunde. Gelegenheit für diverse "Sitzproben" und Begutachtungen der Skyvan.

Nun war ich dran! Nicht zu vergessen, dass bei allen Aktivitäten die Fernsehkamera in der Nähe war und ich beständig zu irgendwelchen Erwartungen, meinen Gefühlen und zur Aufregung befragt wurde. Auch in der Maschine wurde improvisationstechnisch perfekt eine richtige Fernsehkamera befestigt, die mich beim Herumsegeln festhalten sollte (Kommentar von Moderator M.Richardt: "Wenn Du schwerelos bist, immer schön hier vorne an der Kamera vorbeifliegen und winken.."). Dem nicht genug: es flog auch noch ein Kameramann vom Produktionsteam mit, der während der ganzen Zeit eine Handkamera bediente. Also kletterte ich nach ein paar unvermeidlichen Abschiedsworten in die Kamera in die Maschine und suchte mir ein Plätzchen am komplett beräumten Boden und hielt mich an den dort gespannten Seilen fest. Um die anderen "Schwerelosen" nicht zu verletzen, trugen wir keine Schuhe, Uhren oder ähnliche Dinge. Die für manche notwendige Brille musste am Kopf richtig "verzurrt" werden, damit man sie auf der Nase behielt. Bis zu diesem Zeitpunkt legte ich auch keine übergroße Aufregung an den Tag, wenngleich mir das Kamerateam beständig irgendwelche diesbezüglichen Äußerungen aus dem Mund zu saugen suchte. Nachdem jeder sich irgendwo fest gekrallt hatte, wurden die Triebwerke angelassen und wir rollten zur Startbahn. Mit einer Beschleunigung, die man der Maschine beim besten Willen nicht zugetraut hätte, und nach 300m Rollstrecke (dafür ist die Skyvan ja bekannt) waren wir in der Luft. Unter uns breitete sich Ostfriesland aus (naja, bei der Sicht war nicht viel zu holen - aber wenigstens die Ems erkannte man), und der Pilot zog die Maschine auf die geplanten 2000m Höhe. Für die Durchführung des Parabelfluges waren 20 Durchgänge mit je ca.10s Schwerelosigkeit angedacht. Während jeder dieser Phasen verlor die Maschine 400m Höhe. Nach vielleicht 4 Minuten war es soweit: der als Instruktor selbst mitfliegende Paul Bierl reckte den Daumen in die Höhe: "Noch eine Minute!"

Auch die letzte Minute ging schnell herum. Am sich plötzlich verändernden Motorengeräusch erkannten wir schon, dass die Triebwerke in den Leerlauf gingen: die Maschine kippte nach vorn und das ganze Spiel begann. Mein Körper wurde richtig ausgehoben. Für die erste Runde hatte ich mich noch mit Händen und Füßen an den Halteseilen festgehalten, damit flog ich nicht gleich willkürlich durch die Maschine. Aber mein ganzer Rumpf befand sich mit einem Mal in der Luft, und ich hatte überhaupt kein Schweregefühl mehr. Nebeneffekt des Parabelfluges ist, dass der Kreislauf völlig durcheinander kommt. Mir schoss das Blut in den Kopf - schließlich muss ja der Kreislauf jetzt auch keine Schwerkraft mehr überwinden. Nach den ersten Sekunden, in denen man das ganze noch mehr oder weniger fassungslos an sich beobachtete, war der erste Sinkflug schon vorbei. Das notwendige Abfangen der Maschine presste uns mit ca.2g an den Boden. Während ich die ersten Runden noch sitzend hinnahm, wurde es später zunehmend anstrengender und ich begab mich wie die meisten anderen in eine liegende Haltung. Kaum hatte der Pilot die Maschine wieder hochgezogen, kam die nächste Parabel an die Reihe. Nun schon auf das Erlebnis gefasst, ließ ich die Halteseile los - und es war ein unbeschreibliches Erlebnis. Völlig frei von irgendeinem Schweregefühl hing ich mitten im Flugzeug. Vergleichen kann man dieses Gefühl eigentlich nur mit den ersten 2 Sekunden nach dem Fallschirmabsprung aus einem Flugzeug - diese absolute Leichtigkeit lernt wohl jeder Springer bei seinem ersten Sprung kennen. Das Herz rutscht bis in den Hals, und selbst der Unterleib scheint sich bis zum Kopf zu heben! Der Unterschied zum Parabelflug ist natürlich, dass hier kein Luftwiderstand den Fall bremst und auf Grund dessen, dass man sich in einem geschlossenem Raum befindet, das Auge dem Gehirn ganz andere Eindrücke vermittelt. Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl eines (freien) Falles, obwohl es das technisch gesehen natürlich war. Hinzu kam sicher noch das Mistwetter um uns herum, bei dem ich durch die Fenster hindurch keinen Horizont erpähen konnte. Aus meinen eigenen Fliegererfahrungen heraus hätte ich schon mit 70° Sturzwinkel gerechnet! Nachdem ich mich also ein wenig in der Maschine hin und her bewegt hatte, ereilte uns dann auch schon das zweite Abfangen. Die 2g quetschten uns wieder an den Boden, aber allmählich bekamen wir Routine. Natürlich fingen die ungewohnten sportlichen Betätigungen und die Lastwechsel an, uns den Schweiß unübersehbar ins Gesicht zu treiben, aber damit wollten wir alle gerne leben. Bei der nächsten Parabel wurden wir mutiger: ich versuchte schon mal ein paar freie Sprünge oder Drehungen. Vom Grundsatz her klappte alles ganz gut, jedoch schafft der Pilot es nicht, das Flugzeug gänzlich von den Belastungen in Längsrichtung zu befreien. Mitunter kam es also vor, dass mich die Kräfte in Richtung Heck oder nach vorn drückten, und ich musste ab und an hilfesuchend nach den Halteseilen greifen (sofern sie in Reichweite kamen...). Aus Sicherheitsgründen war von der Besatzung schon ein Netz am Rumpfende gespannt worden, damit konnten wir nicht mehr bis in den allerletzen Winkel des sich verjüngenden Hecks segeln. Ich hing einige Male dort an dieser letzten Auffanglinie...

Viel Mühe haben sich die erfahrenen Instrukteure gegeben. Neben Paul Bierl flog Tanja Lehmann mit (die hier schon ihre 11.Mission machte). Kaum schwebte jemand von uns haltlos durch den Raum, griffen sie schon mal nicht nur sprichwörtlich unter die Arme und versetzten uns den richtigen Schwung für einen Salto oder ähnliche Manöver, die früher auf dem Kinderspielplatz oder auch auf dem Trampolin nie geklappt haben. Etliche Salti schaffte ich schon, schade ist natürlich immer nur die Unterbrechung nach 10 Sekunden gewesen. Die Körperbeherrschung nahm mit jeder Parabel zu, allerdings auch die Anstrengung, die uns das Wasser literweise aus dem Leib trieb. Ich staunte nicht schlecht über den Kameramann, der sich in seinem wasserfesten Teletubbie-Anzug (man kann ja nie wissen, ob jemandem schlecht wird) auf einem der vorderen Sitze angeschnallt hatte und behende seine Kamera schwang. Was trotz der enormen Hitze für ihn während des Sinkens noch gut klappte, zog er auch unter erschwerten Bedingungen beim Abfangen durch: die Kamera sank keinen Zentimeter! Erst während der zweiten Hälfte des Fluges schnallte er sich ab und machte dann auch ein paar "freihändige Filmversuche" : auf die Resultate bin ich gespannt!

Videos

   

Als sich unser Flug dem Ende zuneigte, also 20 Durchgänge geflogen waren, zeigte sich der Chef von seiner guten Seite und wir flogen noch 3 zusätzliche Runden, in denen wir unsere Übungen verfeinern konnten. Mit etwas Geschick landetet man schon mal mit den Füßen an der Decke. Die fehlende Schwerkraft ließ meinen Körper das ohne weiteres als Boden akzeptieren - eine Tatsache, die uns gewöhnliche Menschen immer noch stutzen lässt, wenn wir das Bild von einem Weltraumflug, wenn das Raumschiff die Erde "über sich" hat, vor uns haben. In den 3 Parabeln kullerten wir noch etliche Male mit Salto & Co. durch die Maschine, bevor sich das Flugzeug wieder schnell der Erde näherte und zur Landung ansetzte. Der Flug hatte so nicht ganz eine halbe Stunde gedauert.

Am Boden brauchten wir alle erst wieder einige Sekunden für uns. Wir wischten uns den Schweiß von der Stirn, sonst hätte es wahrscheinlich kleine Wasserlachen unter uns gegeben. Kaum hatte ich die ersten Tropfen abgetupft, öffnete sich das Hecktor und zu uns drang frische Luft ... und das Kamerateam. Verständlicherweise zogen sie mich schon halb durch das Netz, bevor ich überhaupt nach Luft schnappen konnte, und befragten mich schweißnass nach meinen ersten Eindrücken. Etliche Sätze musste ich schon herauszaubern, bevor ich mich wieder auf den Boden des Flugplatzes begeben durfte (und endlich meine Schuhe wieder bekam). Unter den neidvollen Blicken der am Platz wartenden Flieger und Fallschirmspringer darob des gewonnenen Erlebnisses wackelte ich in Richtung Hangar.

Urkunde Paul Bierl überreicht die Urkunde

Als ehemaliger Flieger kannte man zwar Belastungen -und in diesen Größenordnungen kommen sie ohne weiteres beim Motorkunstflug vor - aber die vielen Jahre ohne irgendeine Übung zerrten doch ganz schön an den Nerven und Eingeweiden. Spaß hat es auf alle Fälle gemacht, selbst wenn ich diesen Spaß nicht ein zweites Mal hintereinander machen wollte. Aber am nächsten Tag wäre es schon OK gewesen... Schließlich ist ein Parabelflug auch keine alltägliche Fliegererfahrung, sondern bewegt sich eher in die Richtung eines Weltraumerlebnisses.

Zu guter Letzt steht natürlich die Auswertung des Flugerlebnisses an, diesmal nicht vordergründig mit der Kamera, sondern aus der Sicht des Parabel-Flugteams. Die Urkunde von Paul Bierl über "die schwerelose Teilnahme an der APM18" wird an meiner Wand wohl ein ganz besonderes Stück Geschichte verkörpern.

Da der MDR die ganze Aktion nicht nur machte, um mir persönlich einen Gefallen zu tun, gab es im MDR-Fernsehen die Sendung "Mach Dich ran" am 13.September 2004, 19.50 Uhr zu sehen. Und ich hatte damit zu dem Flug noch einen Fernsehauftritt gewonnen ...

Für einen großen Teil der Bilder auf dieser Seite sowie für die Videosequenzen zeichnet Detlef Köhler † von der maßgeblich beteiligten Firma weltraumtouristik.de verantwortlich. Für die Überlassung dieser Aufnahmen bedanke ich mich ganz herzlich.

Veröffentlichungen

Zeitungsartikel im Allgemeinen Anzeiger, September 2004