Sie sind hier:
Sonstige Bilder und Veranstaltungen > Eisenach 2008 - das traurige Flugplatzfest

Eisenach, 26.April 2008 - das traurige Flugplatzfest

Samstag, der 26.April. Einer der ersten wirklich sonnenverwöhnten Tage in diesem Jahr, dazu noch ein Flugplatzfest - was will das flugbegeisterte Herz mehr?

So begab ich mich gemeinsam mit meinem Sohn Johannes(15) nach Eisenach-Kindel. Das Programm nahm seinen Lauf, begeistert guckten wir Zuschauer in den Himmel. Kunstflieger, Transportmaschinen, (ehemalige) Strahltrainer - sogar eine L-29 schaffte es bis zum Kindel. Dazu immer die wissenden Kommentare des Moderators, einstmals selber NVA-Pilot; es machte einfach Spaß und gab mir auch Gelegenheit, mich mit einigen Freunden und bis dahin persönlich unbekannten Kameraden zu treffen, die man sonst nur per Internet kannte.

So traf ich mich auch mit Volker. Er war gerade 3 Minuten auf dem Platz, es klingelte mein Handy, wir verabredeten uns flugs und liefen uns entgegen. Der sich zufällig ergebende Treffpunkt war auf dem Rollweg; links von mir ein paar Schaustellerbuden, rechts von mir das Zelt der aus Hessen angerückten Rettungshundestaffel.

Anflug 1 Anflug 2 Anflug 3 Anflug 4 (Personen beabsichtigt unkenntlich)

Nach wenigen Augenblicken der ersten Begrüßung ließ uns ein ungewohntes Triebwerksgeräusch aufhorchen. Irgendwie klang es anders, wenn die Maschinen auf dem nahezu 200m entfernten Runway Fahrt aufnahmen... Unser Blick glitt in Richtung Startbahn: eine Z-37 hoppelte über die Wiese! Nun ja, dachten wir uns, womöglich will uns hier der Pilot noch etwas Außergewöhnliches zeigen... oder er stand mit seiner Maschine so ungünstig, dass er erst noch rollen musste. Also zückte ich meinen Fotoapparat, hielt fleißig auf die agrarflug-gelbe Maschine und schoss einige Bilder. Die Maschine hielt genau auf uns zu, wechselweise mit dem Fahrwerk aufsetzend und kaum einen Meter Höhe erreichend.

Ich hatte etwa 5 Bilder in meiner Kamera, als mir und auch den meisten anderen, die in diese Richtung sahen, instinktiv klar wurde: das ist nicht normal! Wo wollte der Pilot hin? Er schoss genau auf uns zu, keine Anzeichen, dass er abheben konnte, absetzte, die Fahrt verringerte oder irgendwie die Maschine in eine sichere Richtung zu bringen versuchte. Im Gegenteil: durch die wechselweise Bodenberührung der Fahrwerke und das Aufsetzen einer Tragfläche auf das Gras wechselte die Z-37 in Sekundenabständen unkontrolliert die Richtung. Weg hier! Links: Piste und dann die Buden, ein Zuckerwattestand, daneben ein Kinderkarussell! Nicht viel Platz und eine Menge Leute - rechts: Wiese! Eilig, ohne weitere Überlegung sprinteten wir nach rechts, in wenigen Sekunden hatten wir uns vielleicht 15m von dem Zelt entfernt. Jetzt schrie auch die Moderatorenstimme aus aus den Lautsprechern: "Weg da!"

Die Maschine schoss 10m links neben uns vorbei, durchpflügte das Zelt. Warum hält der nicht an? Eine solche Situation kannte ich nicht; in meiner ganzen aktiven und Zuschauer-Fliegerzeit hatte ich so etwas Unkontrolliertes nicht gesehen - der Pilot muss doch bremsen! Die Z krachte mit einem ohrenbetäubendem Knall in die Mitte der Schaustellerbuden. Der Flieger schob die ganze Kontruktion ungefähr 5 Meter nach hinten, verwandelte sie in einen Haufen Bretter. Einige Teile, die sich aus den Ständen gelöst hatten, flogen umher, gingen irgendwo nieder.

Bei dem Anblick nach dem Einschlag gefror uns das Herz. Unfassbar die Situation! Leblose Menschen lagen unter den Tragflächen, ein Kind. Die Mutter kam schreiend hinzu gelaufen, sie stand zuvor wohl abseits. Was war mit dem Kind? Was war mit dem Karussell? Die Kinder! Meine Kamera, die ich noch in der Hand hatte, machte die Bilder alleine. Ich konnte nicht denken, und schon gar nicht die Situation begreifen. Warum hält der nicht an?

Erste Helfer kamen angerannt. Der Rettungsdienst, ohnehin wegen der Massenveranstaltung auf dem Platz, war nach weniger als einer Minute da, kümmerte sich um Personen, die auf dem Beton lagen. Andere Männer sprangen bereits auf die Maschine, rissen die Bretter auseinander, suchten nach Leuten, die unter dem Trümmerberg begraben waren.

Der Pilot sitzt in der Z-37 relativ hoch; er ragte nun über das ganze Geschehen hinaus. Vermutlich verletzt, bewegte sich aber in seiner Kabine marginal. Davor die Reste der Zuckerwatte-Bude, darin schreiend ein Mann: Hilfe, Hilfe, hier her! Entsetzt gewahrte ich, dass genau hier der Propeller in die Bude gefahren sein musste - und der hatte sich noch gedreht! Über die Auswirkungen dachten wir in dem Moment nicht mehr nach, es war einfach schrecklich!

Nach etwa einer Minute wurde uns selber die Situation bewusst. Den Fotoapparat ausschalten; wer dabei stand, braucht diese Bilder nicht. Was war mit den Kindern? Sofort bekamen wir weiche Knie; wer jemals irgendwo ein leblos daliegendes Kind gesehen hat, wird mir nachfühlen können.

Und sogleich kamen die Aasgeier Schaulustigen heran gesprintet. Sie zückten Kameras und Handys, offensichtlich waren sie zuvor weitab vom Geschehen und versuchten nun, Bilder vom Unglück zu erhaschen. In dem Augenblick hätte mir schlecht werden können. Wir hockten auf der Wiese und kämpften gegen die weichen Knie. Vor Entsetzen stand allen das Wasser in den Augen...

Die Platzfeuerwehr raste heran. Die Männer sprangen auf den Trümmerberg, die Teile auseinander reißend. Polizei, die erst einmal versuchte, Platz zu schaffen, Unverletze und Unbeteiligte zurückdrängte. Räumen der Rollbahn, damit die Rettungsfahrzeuge ungehindert bis zur Unglücksstelle vordringen konnten. Und selbst hier steckten die Uniformierten Ärger der hysterisch schreienden Umstehenden ein: Warum helft Ihr denn nicht? Da sind Verletzte!

Nach Minuten weitere Feuerwehrfahrzeuge, dann erst mal Ruhe, denn es war nichts mehr vor Ort. Nach 10 Minuten nahten weitere Rettungsfahrzeuge und Wagen der freiwilligen Feuerwehren aus den umliegenden Orten, die gesamte Umgebung war von der Rettungsleitstelle in Eisenach in Alarm versetzt worden. Notarztwagen aus Eisenach und Bad Langensalza. Nach einer halben Stunde waren etwa 20-30 Rettungsdienste da, selbst aus Waltershausen und weiter entferneten Orten kamen Wagen herbei. Nach etwa 15 Minuten kamen nacheinander Rettungshubschrauber aus (vermutlich) Bad Berka, Suhl, auch der Bundeswehr-SAR HS aus Erfurt. Noch später die DRF-Maschine aus Nordhausen (einen Hubschrauber gibt es in Eisenach selbst nicht). Die Maschinen landeten (und mir stand nicht der Sinn nach Fotos), standen eine Ewigkeit am Boden; wir hofften nur, dass die Notärzte den Verletzten helfen konnten.

Feuerwehrfahrzeuge nahten unentwegt. Die Kameraden hatten alles an Autos mobilisiert, was in den Dorfgaragen vorhanden war. Die Polizei führte die Fahrzeuge dann mit Motorrädern über die Rollbahn zum Unglücksort. Einige Feuerwehrleute kamen zwar in Dienstuniform, jedoch mit Privat-PKW herangebraust, offensichtlich war ihr Fahrzeugpark schon unterwegs oder voll belegt.

Die Nachrichten, die in der Flugplatzgaststätte aus dem Radio plätscherten, überschlugen sich mit Meldungen. Inzwischen war dort von 2 Toten die Rede. Gerüchte(!), dass der Vorrat mit für die Erstversorgung notwendigen Mitteln knapp würde. Wir konnten nichts dazu tun oder dementieren, inzwischen waren wir (freiwillig) weitab vom Geschehen. Der Veranstalter hatte ohnehin alle Besucher zum Rückzug vom Unfallort aufgefordert, die Veranstaltung abgebrochen und um ein Verlassen des Geländes gebeten.

Noch waren die Straßen großräumig für nachrückende Rettungsfahrzeuge und Feuerwehren blockiert. Auch nach einer Stunde noch immer neue Rettungsfahrzeuge, Feuerwehren, Autos des LBA/BFU. Bei meiner Abfahrt nach fast einer Stunde (die ich für meine inneren Sammlung brauchte) rückte das THW mit schweren Fahrzeugen an, ebenso die Polizei mit 20 Transporten, nun wohl aus Erfurt, um den Unglücksort zu sichern.

Samstag Abend

Die Heimfahrt aus Eisenach war schwer. Jeder Gedanke weilte bei den Unglücksopfern. Neben mir pausenlos die gelbe Z-37.

Das Radio vermeldete kontinuierlich neue Nachrichten zum Unglück. Nun gibt es eine Tote. Eine Frau aus Hessen, sie arbeitete in der Zuckerwattebude, in die das Flugzeug einschlug. Das Kinderkarussell war glücklicherweise außer Betrieb.

Zu Hause (natürlich) erst einmal den Fernseher an; die Fernsehkanäle waren auch sogleich zur Stelle mit Bildern und Kommentaren, die allerdings jedem Dabeigewesenen aufstießen. Blödsinn! Gerüchte über die Unfallursache: geplatzter Reifen! Meine Kamera zeigte anderes... Rettungsdienste langsam: Solchen Quark hatte ich selten gehört! Die ersten Kräfte waren nach weniger als 2 Minuten vor Ort, weitere Kräfte nahten unentwegt; ebenso wie alle Feuerwehrleute waren sie so schnell da, wie es eben ging, handelten selbstlos. Respekt vor dem Rettungs(kommunikations)system! Ich ziehe den Hut vor jedem, der in einer solchen Situation die notwendige Kaltblütigkeit und Professionalität bewahren und so Verletzten helfen kann. Nicht, dass es hierbei um den Anblick von Blut geht - aber der Anblick der Hilflosigkeit der Opfer macht einem schon mächtig zu schaffen und versetzt einen selbst in arge Handlungsunfähigkeit. Panik! Sämtliches, jemals über Erste Hilfe gelerntes Wissen verkriecht sich angesichts des Kampfes um Leben und Tod in die letzte Ecke des Gehirns...

Zwangsläufig überspiele ich die Bilder von meiner Speicherkarte und sehe sie mir (flüchtig) an. Die Z-37 ist wieder neben mir... auf einem der Bilder ist die Frau, die starb, noch drauf, in der Zuckerwattebude. Vor sich das Flugzeug, gerade in die Bude gekracht. Ich könnte heulen.

Sonntag, 27.April 2008

Natürlich sind die Nachrichten noch immer voll von Berichten über das Eisenacher Unglück. Inzwischen gibt es zwar keinen geplatzten Reifen mehr als Vermutung, aber dafür wissen sie schon alles über den Piloten, seine Vorführung und Qualifikation. Jegliche weitere Spekulation wird von mir hier nicht wiedergegeben; ein wenig sollten wir schon auf Ergebnisse der BFU warten!

Die BFU bekommt am Sonntagmorgen von mir die Bilder, die ich schoss; allein der "Anflug" der Maschine zeigt, dass der Pilot wohl völlig unzureichend reagierte oder unentschlossen war: Propellerdrehzahl ca.2100 Umin-1, das ist Volllast! Weitere Kommentare sparen wir uns. Dafür rücken die Fernsehsender mit weiteren Bildern und Videos nach, die auch von Personen stammen, die zuvor auf dem Flugplatz beteuerten, ihre Aufnahmen nicht der Sensationsgeilheit objektiven Berichterstattung wegen verkaufen zu wollen. Am schlimmsten ein Video, das bei RTL läuft: am Ende des Beitrages wird noch einmal maximal auf den blutverschmierten Propeller gezoomt. Bin ich der einzige, der hier noch die sterbende Frau sieht?

Der Tag bedrückt mich sehr. Ich habe emails und ein Telefongespräch mit einem Kameraden, der mir und meinem Großen dringend empfiehlt, eine psychologische Beratung ("Krisenintervention") in Anspruch zu nehmen, um mit dem Ereignis umzugehen.

Montag, 30. April 2008

Ein privater Fernsehsender ruft bei mir zu Hause an, zwei mal. Er möchte von mir gern ein "Statement" haben, da ich nun schon mal unmittelbar am Punkt Null in Eisenach war. Meine innerliche Entscheidung war allerdings schon am Vortag gefallen, die Überlegung war nur kurz: NEIN. Angesichts einer Fernsehkamera sagt man vielleicht noch Dinge, die man so nicht sagen wollte (lässt sich also auf Spekulationen ein...), oder wird u.U. missverstanden, möglicherweise falsch interpretiert. Nein, ich brauche diesen Auftritt nicht. Nach den 2 Anrufen ist die Aktion auch vorbei.

Dienstag, 29.April 2008

Gerade in den Nachrichten: das schwerverletzte 14jährige Mädchen ist gestern Abend gestorben. 2 Tage hatte es gegen das Unglück gekämpft. Es war am Samstag sofort auf die entsprechende Initiative der Rettungsleitstelle in Eisenach mit dem Hubschrauber nach Fulda geflogen worden. Schwerste Kopfverletzung ließen die Hoffnung auf erfolgreiche Behandlung nur in einer Spezialklinik zu.

Scheiße. Ich brauchte gar nicht mehr nachsehen - das Bild des Mädchens und seiner letzten Sekunden sind bei mir auf der Speicherkarte. Die gelbe Z-37 kracht wieder neben mir durch das Zelt.

Zwei Tage wird es noch dauern, bis nicht jede freie Sekunde in meinem Kopf sich dem am Wochenende Geschehenen zuwendet. Bis dahin läuft mein Körper auf Volllast, der Adrenalinspiegel ist auf Hochgbirgsniveau. Irgendwie kann ich dagegen nichts tun, denn - so erklärt es der Psychologe - das ist unser Fluchtreflex, den wir aus dem Tierreich geerbt haben. Dann hat mich der (Arbeits)Alltag wieder eingeholt. Das Gehirn akzeptiert für sich diese Katastrophe.

Aber noch immer bin ich in Gedanken häufig bei den Opfern und ihren Angehörigen.

Nachtrag

Meine Festplatte birgt einige Bilder des Unglücks. Außer den nebenstehenden werde ich keine Fotos davon öffentlich zugänglich machen. Für Augenzeugen und Beteiligte sind sie teilweise ganz einfach grauenhaft. Dem Respekt vor den Opfern und ihren Gefühlen schulde ich, dass die Bilder verschlossen bleiben.