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Aerodynamik des Koaxialhubschraubers

Die Koaxial-Hubschrauber, die nach diesem Prinzip ausnahmslos von Kamow gebaut werden, sind konstruktiv anders ausgelegt als der "übliche" Hubschrauber. Einziges Äquivalent auf dem westlichen Markt ist m.E. nur der K-Max, der allerdings zwei eng aneinander liegende, ineinander kämmende Rotoren (Flettner-Prinzip) hat und so zwar technisch anders aufgebaut ist, jedoch ein recht ähnliches Kräfteverhältnis und Verhalten an den Tag legen dürfte.

Statt einer Tragschraube und einer Heckschraube gibt es hier nur zwei Tragschrauben, die auf einer Achse übereinander liegen und entgegengesetzten Drehsinn haben. Damit wird eines der Grundprobleme des einrotorigen Hubschraubers, der notwendige Ausgleich des Rückdrehmomentes der Tragschraube, sehr elegant aus dem Wege geräumt. Jede Tragschraube gleicht jetzt das Drehmoment der anderen aus, so dass zusätzliche Steuerelemente wie die Heckschraube entfallen. Die entstehenden Kräftediagramme einer Kamow sehen für die Gleichgewichtsbedingungen in der Standschwebe im Gegensatz zur Mi geradezu einfach aus:

Gleichgewicht um die Querachse Gleichgewicht um die Längsachse Gleichgewicht um die Hochachse Drehung um die Hochachse

Die Drehmomente der beiden gegen­läufigen Tragschrauben gleichen sich in der Standschwebe aus, so dass der Hub­schrauber keine Drehung durchführt. Die Tragschraubenresultierende ist deckungsgleich mit der vertikalen Y0-Komponente und gleicht das Gewicht des HS aus, so dass der Hubschrauber nicht sinkt oder steigt.

Als Resultat der Konstruktion ergibt sich eine einfachere Steuertechnik. Durch die Tatsache, dass beide Tragschrauben den gleichen Anströmverhältnissen unterliegen und durch diegenge­setzte Drehrichtung diese auch entge­gengesetzt zur Geltung kommen, gleichen sich die beim Flug auftreten­den aerodynamischen Veränderungen aus. Beim Vorwärtsflug entsteht durch die vektorielle Addition der Anströmung von vorn genau wie bei an deren Hub­schraubern ein Unterschied zwischen der vorlaufenden und zurücklaufen den Hälfte. Die Gebiete des Strömungsabrisses und der Strömungsumkehr liegen jedoch bei beiden Tragschrauben genau gegenüber und paralysieren deshalb diese auftreten den Störungen. Der Hubschrauber bleibt also wäh rend des Vorwärtsfluges ohne Schräglage, da keine Auftriebsdifferenzen zwischen linker und rechter Hälfte und keine störenden Heckschraubenkräfte aufreten. Die Erhöhung oder Verringe­rung der Triebwerksleistung, wie sie beim (senkrechten) Steigen/ Sinken oder Aufholen von Fahrt oder beim Ab­bremsen erfolgt, bleibt ohne Aus­wirkung für die Pedalstellung, da sich die Rückdrehmomente beider TS schon gegenseitig ausgleichen.

Während bei ein rotorigen Mis ebenfalls gefährliche Flugzustände bei zu schnellen Linksdrehungen infolge einer Überschreitung der zulässigen Anstellwinkel an der Heckschraube auftreten können, gibt es diese bei Koaxialhubschraubern nicht. Drehungen bedingen keine große quantitative Änderung der Strömungsverhältnisse an den Tragschrauben, da diese nur in der Drehebene mit erheblich geringerer Geschwindigkeit wirken.

Andere Gefahrensituationen existieren dagegen in gleichem Umfange wie bei einrotorigen Hubschraubern; dazu zählen alle Besonderheiten der Anströmung der Tragschrauben von unten oder oben, wie sie z.B. bei zu schnellem Sinken auftreten.

Die Durchführung von hubschrauberspezifischen Flugmanövern wie der Drehung auf der Stelle wird durch die veränderte Aerodynamik des Koaxialsystems eine andere Technik des Steuersystems eingesetzt. Während für den Hubschrauberführer die Steuertechnik nahezu unverändert aussieht (Pedal nach rechts oder links treten), passieren in den Steuereinrichtungen des Hubschraubers völlig andere Vorgänge. 
Die beiden Tragschrauben des Koaxialsystems sind über ein gemeinsames Hauptgetriebe miteinander mechanisch verkoppelt. Beide Tragschrauben drehen mit der gleichen Drehzahl, jedoch mit unterschiedlichem Drehsinn. Die Momente der Tragschrauben gleichen sich daher in der Standschwebe und im Flug einander normalerweise aus. Wird nun eine Drehung gewünscht, muss das Drehmoment der einen Tragschraube vergrößert werden, so dass die andere TS dies nicht mehr ausgleicht und daher der Hubschrauber dreht.

Für eine Drehung wird der Einstellwinkel der einen Tragschraube erhöht, während er für die andere verringert wird. In Summe bleibt der Auftrieb des Systems und Leistungsbedarf der Triebwerke gleich, jedoch ist diese Leistung nicht mehr auf beide Tragschrauben gleich verteilt. Wird der Einstellwinkel erhöht, bedingen die erhöhten Widerstandskräfte am Blatt für Beibehaltung der Drehzahl (und die Drehzahl muss wegen der mechanischen Verkopplung mit der anderen TS gleich sein!) eine höhere Leistung. Diese Tragschraube "nimmt" sich also eine höhere Leistung und produziert einen größeren Auftrieb. Das vergrößerte Drehmoment ruft ein größeres Rückdrehmoment hervor, das ausgeglichen werden müsste. Die andere Tragschraube jedoch wird im Einstellwinkel verringert - geringerer Leistungsbedarf, weniger Auftrieb und weniger Drehmomentausgleich für die andere TS. Infolgedessen dreht der Hubschrauber.
Im Geradeausflug und im Kurvenflug ist theoretisch keine Betätigung der Pedale erforderlich, wird jedoch in der Praxis zum Ausgleich von Störungen oder zur "Unterstützung" im Kurvenflug eingesetzt. Als zusätzliches Steuerelement sind an die Pedale die Seitenruder angeschlossen, die im Flug mit Vorwärtsgeschwindigkeit aerodynamisch die selbe Wirkung wie an einem Flugzeug haben und ein Drehen des Rumpfes bewirken und den Kurvenflug unterstützen können. Bei der Standschwebe entfalten die Seitenruder auf Grund der fehlenden Anströmung keine Wirkung.

Die Realisierung der Ansteuerung der Tragschrauben erfolgt mit einem besonderen "Mechanismus zur Änderung der Gesamt- und Differenzialsteigung" ("MODSCH"). Er realisiert die

  • gleichzeitige Änderung der Einstellwinkel der oberen und unteren Tragschraube und damit des Gesamtauftriebes (Steigen/ Sinken)
  • Änderung der Differenzialsteigung, d.h., die Vergrößerung des Einstellwinkels der einen und eine Verringerung des Einstellwinkels der anderen Tragschraube.

Tragschraubennabe Ka-50 Ka-50/2

Dem aerodynamischen Vorteil des Koaxialhubschraubers steht der wesentlich höhere technische Aufwand gegenüber. Die Konstruktion der Tragschraubennabe ist erheblich komplexer, diese enthält ja nun zwei gegenläufige Schrägstellautomaten übereinander. Die Tragschraubenwelle ist als Koaxialwelle ausgeführt. Dem Abstand zwischen den beiden Tragschrauben ist durch das akzeptable Gewicht und die konstruktive Ausführung der Wellen/Schrägstellautomaten eine Grenze gesetzt und beträgt ca. 10% des Tragschraubendurchmessers (bei aktuellen Kamow-Maschinen etwas mehr als 1m). Die als wirksam zu betrachtende Rotorfläche liegt ca. 20% über der eines einrotorigen Hubschraubers mit dem selben Tragschraubendurchmessser. Unter Berücksichtigung des Sachverhaltes, dass beim einrotorigen Hubschrauber noch Triebwerksleistung für die Heckschraube "abgezweigt" wird, ergibt sich bei den Kamows ein erheblich besserer Wirkungsgrad, denn es wird die komplette Triebwerksleistung für die Erzeugung des Auftriebes verwendet. 
Der Abschlag gegenüber der theoretischen Summe (also 2x Tragschraubenfläche) ergibt sich hauptsächlich durch die ungünstigeren Anströmverhältnisse für die untere Tragschraube, denn diese wird von vornherein mit einem abwärtsgerichteten Luftstrom und insbesondere am Rand mit Wirbeln der oberen Tragschraube beaufschlagt. Die untere Tragschraube läuft daher eigentlich generell mit einem geringeren Anstellwinkel und bringt nicht denselben Auftrieb wie die obere Tragschraube (Einfluss von Abwärts-Luftströmungen). Moderne Hubschrauber von Kamow werden allerdings in ihrer Konstruktion modifiziert, indem zum Beispiel die unteren Tragschraubenblätter von vornherein einen größeren Einstellwinkel erhalten, also den geringeren Anstellwinkel durch den Abwärtsstrom kompensieren und verbesserten Auftrieb liefern.
Die Tragschraubenblätter führen gemäß der auftretenden Luftkräfte Schlagbewegungen aus, die auch dazu führen, dass sich die Blätter der oberen und unteren Tragschraube annähern. Bei entsprechenden Flugmanövern in aerodynamischen Grenzbereichen für diesen Hubschraubertyp bewirkt dies hier eine höhere Schlagbewegung als zugelassen und ergibt daher ein Risiko des Zusammenschlagens der Blätter. Bei technologisch neueren Hubschraubern wie der Ka-50/52/60 wird die Belastbarkeit und damit die Sicherheit bei extremen Flugmanövern durch eine neue Blattkonstruktion erreicht. Verbundwerkstoffe ergeben eine höhere Festigkeit, die Aufnahme von größeren Kräften durch die Blätter verringern die Schlagbewegungen. Damit werden selbst extreme Flugmanöver möglich, die hohe Anforderungen an die Geschwindigkeiten um die Quer- und Längsachse stellen. Wie bereits oben beschrieben, sind die Koaxial-Hubschrauber bei der Drehung um die Hochachse weit weniger empfindlich als einrotorige HS, da hier keine Heckschraube berücksichtigt werden muss, und können hier mit ausgezeichneten Flugleistungen und extremer Wendigkeit aufwarten.

Quellen

  • "Аеродинамикa Ка26", Lehrbuch, herausgegeben vom sowjetischen Ministerium
  • Bernhard Pethe versorgte mich mit technischen Einzelheiten zu Ka-26
  • Kristian Bartel (aka Sealauncher), dessen Website es inzwischen leider nicht mehr gibt