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Aerodynamik des Hubschraubers - Gleichgewicht

Gleichgewicht in der Standschwebe

Gleichgewicht um die y-Achse / Hochachse in der StandschwebeBisher spielte ausschließlich die einzelne Tragschraube und deren Anströmung eine Rolle. Für das Gesamtsystem Hubschrauber gilt es jedoch, alle entstehenden Kräfte am Hubschrauber zu betrachten. Neben der Tragschraube wird auch die Heckschraube zum krafterzeugenden Element.
Nachfolgend ist das Kräftediagramm in der Standschwebe dargestellt. (Generell wird in dieser Betrachtung stets von Windstille ausgegangen). Dabei wird der Hubschrauber nicht beschleunigt; er verharrt auf der Stelle. Die Summe aller auf den Hubschrauber wirkenden Kräfte ergibt 0. Ebenso ist die Summe aller auf den HS wirkenden Momente 0, so dass er keine Drehung um irgendeine seiner Achse ausführt.
Die Kräfte werden im erdfesten System (x0,y0,z0) betrachtet, denn der Hubschrauber bewegt sicht gegenüber der Erde nicht. Für die Untersuchung der Momente ist das Bezugssystem prinzipiell egal; an dieser Stelle analysieren wir im erdfesten System (x0,y0,z0).

Gleichgewicht um die z-Achse / Querachse in der Standschwebe Mi-2/Mi-8 Gleichgewicht um die x-Achse / Längsachse in der Standschwebe Gleichgewichtsbedingungen in der Standschwebe

Einige Erläuterungen zur Darstellung und zu den Gleichgewichtsformeln:

  • Um die Z-Achse (Ansicht von der Seite)
    Das Drehmoment der Heckschraube wird ausgeglichen durch ein entgegengesetztes Moment der Tragschraube (TS-Schub in Y0 * Abstand des Neutral- vom Schwerpunkt). 
    In der dargestellten Grafik bringt die Heckschraube auf Grund ihrer Drehrichtung ein bughebendes Moment. Eine solche Anordnung ist beispielsweise bei der Mi-2 und Mi-8 zu finden. Der Ausgleich durch die Tragschraube muss also bugsenkend wirken. Durch die Lage des Hubschraubers wird im erdfesten System der Angriffspunkt des Tragschraubenschubes hinterden Schwerpunkt gebracht.
  • Um die X-Achse (Ansicht von hinten)
    Die vertikalen Komponenten der Kräfte von TS und Heckschraube gleichen das Gewicht aus.
    Die Heckschraubenkraft in Z0-Richtung in Kombination mit deren Abstand vom Schwerpunkt ist ausgeglichen mit der TS-Kraft in Y0-Richtung in Kombination mit deren Abstand vom Schwerpunkt.
  • Um die Y-Achse (Ansicht von oben)
    Das Moment der Heckschraube (Heckschraubenschub * Abstand vom Schwerpunkt) gleicht das Rückdrehmoment der Tragschraube aus. Damit keine Kraft in z-Richtung (zur Seite) verbleibt, muss der Hubschrauber eine Rechtschräglage einnehmen. Die z0-Komponente der Tragschraube gleicht den Heckschraubenschub aus.

Aus den grafischen Darstellungen sind wiederum Ableitungen für die Steuertechnik zu treffen. Die Lage des Hubschraubers im Raum ist durchaus richtig dargestellt: in der Standschwebe ist der Hubschrauber nach hinten und rechts geneigt. Schon beim Abheben stellt also das geübt Auge fest, dass das Bugfahrwerk zuerst, dann das linke Hauptfahrwerk abhebt. Ursache hierfür sind die erforderlichen ausgleichenden Kräfte für Trag- und Heckschraubenschub, die ansonsten eine Drehung oder eine Bewegung hervorrufen würden.

 

Die Lage des Hubschraubers im erdfesten System ist damit von Trag- und Heckschraubenkräften sowie deren Rückdrehmomenten abhängig; bei Hubschraubern mit anderen Drehrichtungen der beiden Rotoren (z.B. westliche Hubschrauber) muss zum Teil anders herum reagiert werden. Dreht sich die Heckschraube beispielsweise nach der Art "oberes Blatt nach hinten", so bewirkt sie ein bugsenkendes Moment. Diese Konstellation ist auch bei der Mi-24 und Mi-14 zu finden. Für ein Gleichgewicht in der Standschwebe muss sich daher der Schwerpunkt im erdfesten System etwas hinter dem Neutralpunkt befinden, damit die Tragschraube ein bughebendes Moment produziert.

Eine veränderte Drehrichtung der Tragschraube erzwingt auch eine Linksschräglage des Hubschraubers in der Standschwebe im Gegensatz zu der Mil-typischen Rechtsschräglage.

 

Erkennbar wird in den Darstellungen ebenfalls, dass es im Flugregime der Standschwebe keine stabilisierenden aerodynamischen Faktoren existieren, wenn man von steuertechnischen Hilfsmitteln wie Autopiloten absieht. Daher ist das Halten der Standschwebe für jeden Anfänger eine entsprechend schwere Aufgabe, und nicht selten wird dabei "das Wasser aus dem Steuerknüppel gedrückt". Der Hubschrauber ist in der Lage, sich in jede Richtung zu bewegen (6 Freiheitsgrade) und ist zumindest in der Standschwebe völlig instabil.

Gleichgewicht im Horizontalflug

Im Horizontalflug ist eine Kraft in X0-Richtung erforderlich, welche die Luftwiderstandskraft Fw überwindet und den Hubschrauber in einer gleichförmigen Bewegung hält. Wenn beide Kräfte betragsmäßig gleich sind, wird der Hubschrauber nicht beschleunigt, sondern hält seine Geschwindigkeit. Ist Fx kleiner, wird der HS langsamer, ist sie größer, holt der Hubschrauber Fahrt auf.
Gegenüber der Standschwebe machen sich weitere Kräfte und Momente bemerkbar, die durch die Anströmung entstehen. Dazu zählen:

  • Auftrieb und Widerstand des Stabilisators (horizontale Fläche am Heckträger)
  • Auftrieb und Widerstand des Tragflügels (z.B. an der Mi-24, Mi-6)
  • Auftrieb (Seitenkraft) der Seitenflosse.

Am Hubschrauber ursächlich entstehende Kräfte und Momente um die y-Achse/ Hochachse (Horizontalflug)Die Anströmung der Bauteile erzeugt einen Auftrieb, der durch den Abstand des Teiles vom Schwerpunkt zu zusätzlichen bughebenden/bugsenkenden (Flügel, Stabilisator) oder Richtungsmomenten (Seitenflosse) führt.

Gleichgewicht um die z-Achse/Querachse im Horizontalflug (Mi-24)

Gleichgewicht im Kurvenflug

Im Kurvenflug wird die Flugbahn des Hubschraubers horizontal gekrümmt; dies geschieht entweder über die richtungsmäßige Änderung des Schubvektors der Tragschraube oder auch durch die beim Schieben entstehende Seitenkraft des Rumpfes. In der Regel wird jedoch die "saubere" Kurve geflogen, bei der die Änderung des Tragschraubenschubvektors eine Radialbeschleunigung hervorruft. Zur Erzeugung einer Radialbeschleunigung wird der Traugschraubenkegel mittels Steuerknüppel in die entsprechende Richtung gekippt. Um die vertikale Komponente der Tragschraubenkraft in Richtung Y0 zu halten, muß der Auftrieb und die Triebwerksleistung erhöht werden (siehe Bild). Zum Ausgleich des höheren Rückdrehmomentes der Tragschraube muß allerdings auch das Pedal nach rechts getreten werden, was mehr Schub auf die Heckschraube bringt. Generell sollte die Kurve so geflogen werden, dass die Kugel sich in der Mitte befindet; damit erfolgt kein Abrutschen oder Schieben in der Kurve.

In der Linkskurve wird der Tragschraubenschubvektor weiter nach links geneigt, die Querkraft der Tragschraube nach links erzeugt die Krümmung der Flugbahn nach links. Die Durch die Neigung des Tragschraubenschubvektors ist eine Vergößerung desselben notwendig, damit die Komponente in Y1-Richtung zum Ausgleich des Gewichtes in ihrer Größe aufrecht erhalten wird - sonst sinkt der Hubschrauber. Somit ist ein Ziehen des Gassteigungshebels und eine Vergößerung der Triebwerksleistung erforderlich. Mit dem Erhöhen des Tragschraubendrehmomentes durch das Ziehen des GSH ist ein Treten des rechten Pedals erforderlich, was jedoch in der Praxis erheblich geringer ausfällt, da mit dem Pedal zugleich das Schieben des Hubschraubers und damit die mittige Lage der Libelle "eingestellt" wird. Der Hubschrauber geht bereitwilliger in die Linkskurve, da der Heckschraubenschub die Erzeugung der Querkraft nach links unterstützt.

In der Rechtskurve erfolgt ein Neigen der Tragschraubenresultierenden nach rechts. Der notwendige Erhalt der Y1-Komponente erfordert ebenfalls in der Rechtskurve eine höhere Triebwerksleistung und ein Treten des rechten Pedals, was wiederum dem Triebwerk noch mehr Leistung abfordert (auch hier muss das Pedal zum Ausgleichen eines Schiebens genutzt werden - in aller Regel wird mehr rechtes Pedal gegeben). Der vergrößerte Heckschraubenschub arbeitet jedoch der Rechtskurve entgegen, so dass insgesamt der Tragschraubenkegel weiter nach rechts geneigt werden muss und entsprechend mehr Triebwerksleistung zum Ausgleich der Gewichtskraft benötigt wird. 
Die Rechtskurve ist damit leistungsmäßig ungünstiger als eine Linkskurve.

Veränderung der Tragschrauben- und Heckschraubenkräfte in der Linkskurve Veränderung der Tragschrauben- und Heckschraubenkräfte in der Rechtskurve

Zu beachten ist bei der Steuertechnik, dass ein Neigen des Tragschraubenkegels nach rechts infolge der Kreiselpräzession ein Kippen nach vorn verursacht. Bei der Rechtsneigung muß also der Steuerküppel gedrückt werden! Damit wird die Steuertechnik des Hubschraubers in den Kurven sehr komplex.

Steuertechnische Besonderheiten in den Kurven
LinkskurveRechtskurve
  • Steuerknüppel nach links
  • Ziehen Gassteigungshebel
  • (leicht) Pedal rechts, bis Kugel im Zentrum
  • Ziehen Steuerknüppel
  • Steuerknüppel nach rechts
  • Ziehen Gassteigungshebel
  • Pedal rechts (Kugel ins Zentrum)
  • Drücken Steuerknüppel

Zur grundlegenden Kreiseltheorie und zur Präzession ist etwas unter Geräten zu finden. 
Die Bewegung des Hubschraubers in einer Kurve verändert die Anströmung der Tragschraube im vorlaufenden und rücklaufenden Bereich enorm. In der Linkskurve werden die Bereiche der Strömungsumkehr und des Strömungsabrisses auf der rücklaufenden Seite größer. Die Folge ist in der Linkskurve ein verstärkter Auftriebsverlust im Bereich des rücklaufenden Blattes ("rechts"), trotzdem die resultierende Anströmgeschwindigkeit eigentlich auftriebsvergrößernd wirken müsste. Der Tragschraubenkegel neigt sich stärker als normal nach rechts. Der Hubschrauber versucht von sich aus, die Linkskurve auszuleiten.

Veränderung der Auftriebsverhältnisse in der Linkskurve Veränderung der Auftriebsverhältnisse in der Rechtskurve

Die Rechtskurve ist die Tendenz genau entgegengesetzt. Der Hubschrauber neigt zum Vergrößern der Schräglage. Zwar werden die Gebiete der Strömungsumkehr und des Strömungsabrisses im rücklaufenden TS-Abschnitt kleiner, jedoch tritt ein Auftriebsverlust durch Zurückgehen der absoluten Anströmgeschwindigkeit ein.