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Unterkunft

Einberufung: der erste Tag

Am 26.August 1986 endete mein Leben als Zivilist.

Ein einfacher Satz, der jedoch für jeden Mann oder auch Jugendlichen gewaltige Umstellungen mit sich bringt. Ein Leben, meist bestimmt von Vorgesetzten und Befehlen steht von jetzt ab im Vordergrund, und viele Entbehrungen gegenüber dem Leben eines normalen Studenten oder auch Arbeiters stand uns bevor.

Zeitgenössische Werbung

Vor die Einberufung hat jedoch die Dienstvorschrift das Anpassen an militärisches Äußeres gesetzt. Die Uniform gab es zwar erst am nächsten Tag, aber zum Friseur ist man schon mal am Tag vorher gegangen, um sich an das Aussehen mit dem von der Lockenpracht befreiten Schädel zu gewöhnen. Das gleiche passierte mit dem Bart, Stolz vieler der Pubertät entwachsener Jung-Männer: ab damit! Somit war man äußerlich gerüstet, aber innerlich war man trotz des langjährigen Wunsches, Offizier zu werden, sehr zerissen. Was würde uns wohl erwarten?

Die Mehrzahl meiner Erfurter Flieger-Freunde zog zwar nach Bautzen zur Jagdfliegerausbildung, jedoch begann ich meinen ersten Tag als NVA-Angehöriger wenigstens gemeinsam mit Roman B., indem wir zusammen in den Zug nach Brandenburg kletterten. Zum "Abschiedszeremoniell" gehörten natürlich auch unsere Freundinnen, denen es in diesem Moment wahrscheinlich nicht viel leichter ums Herz war als uns beiden. Für sie war zumindest die erste Zeit genauso schwer, da sich von einem Tag auf den anderen das gesamte, gewohnte Umfeld veränderte und wir für Wochen nicht an ihrer Seite sein sollten. Die Gefährtinnen so mancher meiner Mit-Offiziersschüler haben in den folgenden 4 Jahren das Handtuch geworfen. Andere jedoch, so auch meine heutige Frau, haben 4 Jahre zusammen mit ihren Freunden durchgestanden. Auf alle Fälle ist es nicht einfach gewesen, denn die Armee veränderte unser Leben und auch uns ganz gewaltig. Mit einem Male mussten wir selbständig Entscheidungen treffen und riesige Verantwortung tragen.

Der Schaffner waltete vorschriftsmäßig seines Amtes. Mit geübter Handbewegung knipste er teilnahmslos ein Loch in unseren Einberufungsbefehl, der als Fahrkarte vom Wohn- zum Dienstort gültig waren. Wie hätten wir wohl über diese Handlung lachen können, wäre uns in diesem Moment nicht so schwer ums Herz gewesen. Schließlich hatten wir wenige Minuten zuvor Abschied genommen von unseren Freundinnen, Eltern und Bekannten und begaben uns in ein völlig neues, bisher unbekanntes Umfeld. Ob wir alle an uns gestellten Anforderungen erfüllen würden, lag für uns im Ungewissen. Schließlich war das kein Ferienlager mehr, sondern eine Armee - mit hohen körperlichen und anderen Forderungen. Zwar hatten wir schon mehrfach als Offiziersbewerber mit dem Bewerberkollektiv Dienstellen der NVA und sogar die OHS der LSK/LV einschließlich der Flugplätze in Bautzen oder Kamenz besucht, aber das wirkliche Leben in einer Kaserne war für uns bis dahin nicht im Geringsten fassbar.

Unsere Bekanntschaft mit der Garnisonsstadt Brandenburg begann am Bahnhof. Dort traf man schon eine Reihe anderer bekannter Gesichter, die ebenfalls mit dem Zug angereist waren - die Ausbildung an den GST-Fliegerschulen hatte uns eine Menge von Kameraden aus allen möglichen Winkeln der Republik nahe gebracht, wenngleich ich selbst auf Grund der Lehrgänge in Jahnsdorf „nur“ die Männer des Südteils der DDR kannte. Nachdem man sich eifrig begrüßt hatte und in Anbetracht der in der nächsten Stunde bevorstehenden Einkehr in der Dienststelle nur noch mit Galgenhumor scherzte, entrangen wir den Einheimischen noch die notwendigen Informationen, wie man denn nun in die Magdeburger Straße gelangen könne. Das Verkehrsmittel unserer Wahl war die Straßenbahn. Auch hierfür galt der Einberufungsbefehl als Fahrschein.

Das Objekt in der Magdeburger Straße empfing uns mit offenem KDL. Ein letztes Mal bewegten wir uns in Zivilkleidung durch den Eingangsbereich. Das vielleicht etwas mitleidige (oder höhnische?) Lächeln des Wachpostens nahmen wir nicht war; trotz aller Beklemmung waren wir darüber erhaben. WIR WERDEN FLIEGER!

Sogleich wurden wir von unseren künftigen Vorgesetzten in Empfang genommen. Während der Grundausbildung wurden wir in der 86. Kompanie eingegliedert, dem Kompaniechef zur Seite standen die Zugführer sowie die Gruppenführer und stellvertretende Zugführer. Für die beiden letzteren Aufgaben wurden Offiziersschüler des angehenden 3.Studienjahres aus dem Bereich der OHS in Kamenz herangezogen. In meinem Falle kämpften sich künftige Funkmess-Spezialisten durch die Aufgabe, uns das militärische Grundwissen bei zu bringen.

Schweigend trabten wir hinter unseren neuen Gruppenführern her. Neue Eindrücke nahmen uns gefangen. Die Gebäude der Dienststelle machten einen nur wenig anheimelnden Eindruck, sie stammten allesamt aus den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts. Düster ragten die riesigen, alten Backsteingebäude vor uns auf – nun sollten sie uns als Unterkunft, Lehrgebäude, Speisesaal und Regimentsklub dienen. Verbunden waren sie allesamt durch Wege, deren Kopfsteinpflasterbelag man wohl eher zugetraut hätte, eine römische Legion denn die NVA zu tragen. Nichts da von modernen Unterrichtsgebäuden mit Großem Hörsaal oder neu errichteten Unterkunftsgebäuden, wie wir es während unserer Bewerberzeit bei Besuchen am Vorzeigestandort Bautzen mehrfach erlebt hatten. Vor allem prangte aber das Schild, das uns durch die nächsten 4 Jahre begleiten sollte: „KOMMUNIST – OFFIZIER – MILITÄRFLIEGER“. Die Prioritäten waren damit gesetzt. In erster Linie würden wir Kommunisten sein, der Sache der Arbeiterklasse und dem Sozialismus treu ergeben. In zweiter Reihe stand der Offiziersberuf, egal an welcher Stelle von uns militärische Leistung verlangt würde. Unbedingter militärischer Gehorsam, um die DDR und den Frieden zu verteidigen. Der Militärflieger schließlich war unsere konkrete Aufgabe, mit der wir die anderen Ziele umsetzen sollten. Freilich stand für viele das Schild auf dem Kopf. Die meisten waren wohl mit dem Berufswunsch Flieger hier angerückt und nahmen das andere in Kauf.

Unterkunftsgebäude Auf dem Kompanieflur in einer etwas abgelegenen Ecke der 1.Etage des riesigen Unterkunftsgebäudes angelangt bekamen wir unsere Zimmer zugewiesen. Eingeteilt nach den zukünftigen Strukturen der Züge und Gruppen verteilten uns die Offiziersschüler des 3.Studienjahres, zu denen wir nun nahezu ehrfürchtig aufblickten, auf unsere Unterkunft. Was einst den kaiserlichen Truppen als Kaserne gedient hatte, war nun unsere Heimat für die nächsten 4 Jahre. Willkürlich war von unseren Vorgesetzten bereits im Vorfeld die Aufteilung vollzogen worden, und so fanden sich stets 6 oder 7 Mann in den vorbestimmten riesigen Zimmern zusammen. Die Ausstattung erschien uns militärisch, spartanisch bis zweckmäßig und bot auf keinen Fall zu viel Komfort. Die Fenster am Ende des Raumes erhellten den Raum nicht vollends, Düsterkeit breitete sich trotz der noch strahlenden Augustsonne aus. Die Betten - immerhin konnte man auch bei 7 Offiziersschülern auf dem Zimmer in aller Regel auf Doppelstockbetten verzichten - waren vorbereitet und ebenso wie Schränke und Nachtschränke schon mit unseren Namensschildchen versehen. Offenbar waren die bereits anwesenden Offiziersschüler aus dem Hochschulreifelehrgang mit der wichtigen Aufgabe des Bettenbeziehens und dem Anfertigen der Schildchen betraut worden. (Sie waren im Gegensatz zu uns Neulingen bereits 1 Jahr an der OHS in Kamenz gewesen und vor Dutzenden Tagen nach Brandenburg versetzt worden, hatten damit reichlich Zeit für solche Arbeiten in Vorbereitung unserer Einberufung. In Kamenz hatten sie ihr 0. Studienjahr zur Erlangung der Hochschulreife absolviert, die wir mit unserem Abitur schon zivil erworben hatten.)
Anders als Wehrpflichtige, deren Schlafstatt normalerweise eine umgenähte NVA-Wolldecke im blau-weiß-karierten Bezug zierte, genossen wir Berufssoldaten den Luxus einer wärmenden Steppdecke in weißem Bezug. Und passend war sie auch schon.

Einzig die an den Wänden aufgehangenen Fotos boten etwas Abwechslung, wenngleich sie unverwechselbar militärischen Inhalt boten und mit über das Gefechtsfeld fliegenden Hubschraubern, donnernden Geschützen und rollenden T-55 unsere Motivation zu stärken versuchten.

Fliegerrevue 10/86: Die Jahnsdorfer SPK wird u.a. von S.Jähn verabschiedet. Die menschliche Mischung, die sich in den Zimmern einfand, war bunt und ohne ein erkennbares Schema zusammen gestellt. Neben den Kameraden, die man bereits aus seiner eigenen GST-Ausbildung kannte, setzte sich die Kompanie aus weiteren angehenden Fliegern zusammen. Die GST-Fliegerschulen in Jahnsdorf (zuständig für DDR-Süd) und Schönhagen (DDR-Nord) bildeten neben uns „üblichen“ Fliegern ebenso die Speziell profilierten Klassen (SPK) heran, die im Rahmen einer normalen Lehrausbildung mit Abitur eine erweiterte fliegerische Ausbildung auch während der Lehrzeit genossen und damit denen fliegerisch überlegen waren, die wie wir ausschließlich während der Ferien zur Ausbildung anreisten.

Diese SPK waren wohl stolze Vorzeigeobjekte der Fliegerschulen. Die entsprechende Klasse der Fliegerschule Jahnsdorf wurde in diesem Jahre beispielsweise von Sigmund Jähn persönlich, dessen Namen die Schule trug, verabschiedet und fand sogar entsprechende Würdigung in der Zeitschrift Flieger-Revue. Neben uns Fliegern der GST-Abverfügung 1986 fanden sich auch Kameraden ein, die mangels eines zivilen Abiturs bereits eine Hochschulreifeausbildung (HSR) innerhalb der NVA genossen hatten. In einem Jahr war ihnen in Kamenz das Abiturwissen in Kernfächern vermittelt worden - mit dieser von uns respektlos als Kriegsabitur bezeichneten Hochschulreife stand ihnen ebenfalls der Offiziersberuf als Hochschulstudium mit Diplomabschluss offen. In aller Regel hatten sie bereits ein Jahr zuvor die entsprechende Motorflugausbildung in der GST abgeschlossen. Nur ein ganz geringer Anteil unseres Studienjahrganges setzte sich aus Kameraden ohne fliegerische Vorbildung zusammen, die sich so zu sagen kurz entschlossen in die begehrte und heiß umworbene Fliegerlaufbahn stürzten. Zum Teil vollzogen sie dabei auch einen Umstieg aus einem bereits absolvierten 1.Studienjahr in anderen Waffengattungen; mit dem Dienstgrad OS 2.Studienjahr stiegen sie in die Ausbildung zum Hubschrauberführer ein. Dass ihr Offiziersschülerleben damit 5 Jahre dauerte, nahmen sie wohl gern in Kauf. Mein Jahrgang ´86 wies beispielsweise Offiziersschüler auf, die zuvor bei an der OHS der Landstreitkräfte in Löbau Fallschirmaufklärer werden sollten, ebenso wie angehende Jagdflieger, die auf Grund sich zeigender gesundheitlicher Einschränkungen nun auf das Profil Hubschrauberführer zurück gestuft werden mussten. Dafür durften sie im 4.Studienjahr, wenn sie schon im 5. Jahr ihres Offiziersschülerdaseins waren, einen weiteren, nun den 5.Balken auf ihre Schulterklappe nähen und sorgten mit dem ungewohnten Anblick bei Uneingeweihten für Verblüffung, gab es doch den Dienstgrad Offiziersschüler offiziell nur bis zum 4.Studienjahr.

Unterkunftsgebäude Unterkunftsgebäude Unterkunftsgebäude

In neuer Zusammensetzung mit nur wenigen bekannten Gesichtern saßen wir in unseren Unterkünften. Nach dem ersten Bekanntmachen mit den Gruppenführern, die angesichts von uns Neulingen wohl genau so viel Mühe hatten, in uns militärische Exaktheit zu bringen wie wir auf der anderen Seite uns erst an diesen militärischen harten Ton gewöhnen mussten, begaben wir uns, in eine erste Marschordnung gepresst, in die BA-Kammer (Bekleidung und Ausrüstung). Zwar blieb an diesem Nachmittag und Abend nicht mehr viel Zeit, um uns etwas auszuhändigen, aber zumindest nahmen wir schon einmal unsere Trainingsanzüge in Empfang. So konnten wir, in unser Braun mit rot-gelben Streifen gehüllt, einheitlich zum Abendessen marschieren.

Gebäude Speisesaal/ Regimentsklub

Wir lernten das nächste Gebäude kennen: den Speisesaal. Ebenso wie alle anderen Gebäude vor gut einhundert Jahren als Backsteinbau errichtet, war er nun das Zentrum der Verpflegung geworden. Im Erdgeschoss verrieten uns die Haken in den Wänden noch die einstige Bestimmung: Pferdestall. Obgleich das Haus inzwischen hergerichtet und renoviert war, erschien es uns recht trostlos. In der 1.Etage befand sich der Speisesaal für uns Offiziersschüler, daneben der Speisesaal der Unteroffiziere und Soldaten. Nur spärliches Licht kämpfte sich im Obergeschoss durch die Fenster; der reichliche, gut gewachsene Kastanienbestand auf dem Kasernengelände hielt einen großen Teil der Sonne erfolgreich fern. Einzig die Säle für die Berufskader (Unteroffiziere, Fähnriche, Offiziere und Offiziersschüler des 4.Studienjahres) sowie die Räume für das fliegende Stammpersonal waren etwas angenehmer ausgestattet, aber unerreichbar fern. Während die Soldaten mit Bänken an ihren Tischen vorlieb nehmen mussten, fanden wir in unserem Speisesaal immerhin wachstuchbedeckte Tische vor, umringt von 6 Stühlen, wo wir uns zunächst gruppenweise setzten. Und nun: Anstellen bei der Essenausgabe. Ein Teller mit zugeteilter Butter und Wurstscheiben wartete auf uns, weitere „Zutaten“ zum Abendessen fanden wir an einer Art Buffet vor. Kampf um Besteck gab es nicht - das war genau so wie eine Tasse von uns Offiziersschülern als persönliches Eigentum mitzuführen. Gleichsam als Begrüßungsgeschenk hatten wir zuvor aus den Händen unserer Gruppenführer Tassen erhalten. Die Ausführung aus stabilem, braunem Plaste bescherte ihnen ein langes Leben; auf Grund ihres großen Fassungsvermögens, das ihnen niemand ansah, bekamen sie von uns den Beinamen Kameradenbetrüger.

Im einstigen Pferdestall der unteren Etage waren nun die Spülbecken installiert, wo wir Offiziersschüler unser Besteck und die soeben erworbenen Tassen reinigen konnten. Hähne für kaltes und warmes Wasser waren allerdings nur getrennt vorhanden. Mischbatterien hatten um diese Einrichtung einen großen Bogen gemacht. Kaltes Wasser reinigt kaum, in das heiße, dampfende konnten wir beim besten Willen nicht mehr hineinfassen; so wurden unsere Gegenstände über lange Zeit nur unter dem fließenden Wasser gespült und nicht tatsächlich abgewaschen. Immerhin verbarg unser Kameradenbetrüger auf Grund seiner Farbe die nach einigen Wochen entstehende Patina erfolgreich. Sich nach Dienst im Waschraum der Einheit noch einmal um die Tasse zu kümmern, kam uns nur selten in den Sinn.

Das erste mal Schlafen, das erste mal der stimmgewaltige Zugführer auf dem Flur: "KOMPANIIIIEEEE - NACHTRUHE BEENDEN, FERTIGMACHEN ZUM FRÜSHPORT!" So neu war nun Frühsport nicht; immerhin hatten wir ihm schon eifrig in den GST-Fliegerschulen gefrönt. Aber nun war eben alles anders. Der Tag begann hastig unter Druck und mit körperlichen Höchstleistungen...

UnfallUnfall Nach dem Frühstück das (übliche) Antreten zur Dienstausgabe, auch wenn es an unserem ersten Tag genau genommen noch keine solche war. Aber ein Schreck ließ nicht lange auf sich warten: vom KC erhielten wir offiziell die Mitteilung, dass sich gestern, am 26.08.86, ein Unfall ereignet hatte. Wohl mehr oder weniger erschrocken schauten wir drein; wenn das schon so losging ?! Was war geschehen? Eine Mi-2, besetzt mit OS Grenz (gerade in das 2.Studienjahr versetzt und somit nur 1 Jahr älter als wir) und Oberleutnant Gückstock, war aus der Standschwebe abgestürzt. Beide trugen Verletzungen davon, mehr war in diesem Moment noch nicht zu sagen - aber eine völlige Unversehrtheit beim Herunterfallen aus 5 bis 10m mit der Maschine war auch nicht zu erwarten. Später, im Laufe der nächsten Wochen, erfuhr man auch die (aufgeklärten) Einzelheiten, nach denen defekte Freiläufe zwischen Triebwerk und Hauptuntersetzungsgetriebe die Ursache des Absturzes waren. Eine Schilderung des Absturzes von OS Grenz gibt es mit nebenstehendem Link.

Die Anpassung an das militärische Äußere nahm am ersten „richtigen“ Tag als Offiziersschüler ihren Lauf. Ich hatte bereits am Tage zuvor den Friseur um einen knappen Haarschnitt ersucht und mich von meinem Bärtchen, dem Stolz vieler der Pubertät entwachsener Jugendlicher, getrennt, so dass ich diese militärische Maßnahme umschiffen konnte. Nun folgte nun die Ausgabe von Uniformen, Stiefeln, Schuhen, Mützen und vielerlei anderen Ausrüstungsgegenständen. Die BA-Kammer hielt reichlich davon für uns bereit... Die dort werkelnden Frauen vermaßen uns mit geübten Handgriffen. Freilich mussten wir Neulinge uns an das Procedere erst gewöhnen, bekamen wir doch mehrfach das Maßband um Bauch, Kopf und andere Extremitäten geschlungen und erhielten auf den Ruf der Vermesserin „K46-0!“ sogleich ein Kleidungsstück mit der lakonischen Bemerkung „Passt!“ angetragen. Felddienstuniform, Mützen, Käppi, Dienstuniformen, Stiefelhosen, Wintermantel und dergleichen mehr wanderten in unseren Seesack. Zu unserem Bedauern war von Fliegerkombi und Helm noch lange nichts zu sehen.

Vorbildlicher (Soldaten-)Spind. Aus: Handbuch für militärisches Grundwissen

Die Entgegennahme aller Gegenstände nahm wohl einen großen Teil des Tages in Anspruch - der Rest ging für das Einräumen des Spindes drauf. Das ordnungsgemäße Erscheinungsbild des Spindes ist eine der wesentlichsten Grundlagen im Soldatenleben, die mit außerordentlicher Akribie hergestellt werden muss. Als Offiziersschüler hatte jeder von uns seinen eigenen Spind, fein säuberlich aufgereiht an der Wandseite gegenüber den Betten. Die Spinde waren größer als die der Unteroffiziere und Soldaten, so dass wir alle unsere soeben erworbenen Sachen vorbildlich unterbringen konnten. Beim Einräumen schöpften wir reichlich aus dem Erfahrungsschatz der Offiziersschüler aus der Hochschulreife, die nun schon ein ganzes Jahr mehr mit diesem Werk umzugehen wussten. Jedes Kleidungsstück bekam seinen vorgeschriebenen Ort zugewiesen. Um der peinlichen Ordnung Genüge zu tun, wurden ganze Berge von Unterhemden, Sportzeug und anderen Kleidungsstücken mit der Zeitung Neues Deutschland, von uns Offiziersschülern ohnehin per militärischer Vorgabe konsumiert, akkurat ausstaffiert, so dass keine Knitterfalte in den nächsten 3 Jahren der kasernierten Unterbringung eine Chance auf ihren Auftritt hatte. Hinter diesen Potemkinschen Dörfern konnten ungesehen andere, weniger aufgeräumte Sachen verschwinden. Hatte man genügend Nachschub an den benötigten Kleidungsstücken (wobei mir ein NVA-Offizier als Vater sehr hilfreich war), brauchte man seine kunstvoll geschaffene Ordnung nahezu niemals einzureißen. Beim Auszug nach 3 Jahren konnte ich so die Zeitung der letzten Augusttage 1986 noch einmal lesen…

Die Zivilkleidung hatte laut Vorschrift in einem mitgebrachten Karton zu verschwinden und musste per Post nach Hause geschickt werden. Unser Leben hatte fortan nur noch in Uniform statt zu finden. Einzig die auf dem Urlaubsschein separat zu vermerkende Zivilerlaubnis während des Urlaubes gestattete uns am Urlaubsort das Tragen von normalen Sachen. Die Fahrt dorthin war selbstverständlich in Uniform zu absolvieren, so dass an jedem Wochenende auch ungezählte Offiziersschüler-Uniformen die Bahnsteige säumten.

Der „Zufall“ wollte es, dass sich niemand ernsthaft um den Verbleib unserer Zivilsachen scherte. So stand der Karton mit diesen die 5 Wochen bis zum ersten Urlaub unbeachtet im Schrank – nicht einmal verstecken mussten wir ihn, es nahm kein Gruppenführer oder Kompaniechef Anstoß daran. Freilich war ich selbst auf dem ersten Urlaub, die Kiste mit den Zivilsachen unter den Arm geklemmt, nicht mutig genug, meine Uniform bereits im Zug gegen die Zivilsachen zu tauschen. Und ein ganz klein wenig stolz war ich nach der geschafften Grundausbildung schon auf meinen Beruf, allen hämischen Blicken trotzend.

Grundausbildung

Nach der ersten Ausstattung ging es tatsächlich an den Grundschliff von uns Offiziersschülern. Die Felddienstuniform wurde unser zweites Zuhause. 12 Stunden am Tag gab es praktisch nur sie – wenn man von den Ausbildungsstunden in Sport absieht, in denen wir unseren Trainingsanzug und das bewährte kurze Sportzeug Rot/ Gelb zur Schau tragen durften. Zahllose praktische Unterrichtsstunden im Exerzieren, Tragen von Uniformarten, Grüßen, Herantreten an Vorgesetzte, Dienstgrade, Marschieren und militärischem Auftreten schufen eine erste Basis. Jeder Winkel des Dienststellengeländes wurde nun mit uns marschierenden Offiziersschülern gefüllt, überall fand sich stets eine Gruppe, die exerzierte, Übungshandgranaten warf oder die Kalaschnikow auseinander- und zusammenbaute.

Ebenso wesentlich: Schutzausbildung. Neben den theoretischen Grundlagen, bei denen es um Chemische Kampfstoffe, Kernwaffen und Bakteriologische Kampfstoffe ging ("ABC", wobei man heute das "B" gerne als Biologisch bezeichnet), ist natürlich ein wichtiger Teil das Training mit der Ausrüstung. Dabei müssen beim Anlegen bestimmte Normen und Zeiten eingehalten werden. Uns künftigen Fliegern gereichte es zum Vorteil, dass wir als Truppenschutzmaske (TSM) bereits die relativ neuen "Hamsterbacken" bekamen, die M10. Diese Schutzmaske hatte einen ganz guten Luftdurchsatz und relativ große Sichtgläser, was uns bei der Ausbildung, insbesondere unter körperlicher Belastung, sehr angenehm war. So "gut" vielleicht die Maske selber war, so bescheiden war die Verpackung. Bei den meisten Mitkämpfern riss im Laufe der Jahre der Druckknopf aus dem Taschendeckel, da das Taschenmaterial eher nachgab, als dass der Knopf öffnete. Während man solche Dinge bei der Tasche noch hinnimmt, ist das beim Schutzanzug schon erheblich gefährlicher. Oftmals sah es dort jedoch ebenso traurig aus.

Schutzmaske M10MSchutzmaske M10M

Während der Ausbildung waren wir stets und ständig damit beschäftigt, auf den Ruf "Gas!" oder "Schutzmaske aufsetzen!" zu harren. Dann hieß es, sich den Stahlhelm vom Kopf zu reißen (und wer weiß, wie man den Stahlhelmriemen zumachte, kann ahnen, daß man eigentlich schon die ganze Normzeit zum Öffnen eben dieses Verschlusses brauchte, es sei denn, man war vorbereitet), die Schutzmaskentasche aufzumachen, die Maske herauszuholen, tiiief Luft zu holen (Augen zu!), sich den Schnuffi vor das Gesicht zu pressen, Riemen drüber und auszuatmen... das ganze in 7 Sekunden für die "1".
Stufe 2: der Schutzumhang, was eigentlich nur eine grüne Plastikplane zum unmittelbaren Schutz vor einem ersten radioaktiven oder chemischen Niederschlag war.

Unser Optimismus war grenzenlos. Keiner wusste (und keiner machte sich Gedanken darüber!), wie lange denn nun tatsächlich dieSchutzausrüstung im Ernstfall unser Leben geschützt hätte. Heute zu erfahrende Aussagen, dass auch beim Schutzmasken-Aktivkohlefilter nach 2 Stunden die Sättigung erreicht ist und Kontamination bedeutet, hätte wohl jede Kampfmoral untergraben.
Stufe 3: Vollschutz. Der Schutzanzug wurde im Tragegestell auf dem Rücken mitgeführt, bestand aus einer Hose und einer Jacke, die bei entsprechend gutem Anlegen den Kontakt des Körpers mit Kampfstoffen verhindern sollte. Das Anziehen war in ca.4 Minuten für die Note 1 zu erledigen - selbstverständlich unter angelegter Schutzmaske. Das Anziehen war anstrengend, so dass uns alsbald das Wasser nur so lief und Dank der Undurchlässigkeit des Anzuges die Uniform nur so durchnässte. Nebenher hatten wir natürlich auf unsere Ausrüstung aufzupassen... anlässlich solcher "Gas-" Einlagen während der Märsche waren öfters Zugführer zu beobachten, die herumgingen und alleingelassene MPi's einsammelten.

Nach den ersten Tagen, die wir wohl in unserem Ungeübtsein mit so mancher tollpatschiger Bewegung erfüllten, gingen viele Bewegungen in Fleisch und Blut über. Nach und nach wurde der tägliche Ablauf beständig um alle anderen Kernbereiche der Grundausbildung erweitert. Physische Ausbildung, bei dem der berühmte Achtertest Hochkonjunktur hatte. Ausbildung an der Sturmbahn. Schutzausbildung. Waffenkunde. Schießen mit MPi, wenn auch nur wenig. MPi-Putzen, davon wiederum sehr viel. Politische Schulung. Bewegen im Gelände. Taktikausbildung. Nichts von alledem hatte bisher auf irgendeine Weise mit dem Fliegen zu tun.

Achtertest und Noten während der Ausbildung
 "3""2""1"
3000m-Lauf 13:20 12:20 11:20
Klimmzüge 6 8 11
Liegestütze 20    
Klettern am 5m-Tau 19s 15s 13s
Dreierhopp 6m    
Handgranatenwurf 32m 40m 48m
Sturmbahn (200m) 2:40    
100m-Lauf 14,6s    
Weitere sportliche Höhepunkte
 "3""2""1"
Gewichtstoßen 50kg 7x 13x 16x
Uniformschwimmen 100m 200m 250m
Streckentauchen 15m 20m 25m
1000m-Lauf 3:55 3:25 3:15

Wir übten uns im grundlegenden Verhalten eines Muckers, wie die Mot.Schützen allerorts genannt wurden. Märsche zum Übungsgelände außerhalb der Stadt standen mehrfach auf dem Programm, selbstverständlich mit Marschgesang. Hier übten wir im endlosen, von Panzern und SPW durchpflügten Übungsgelände des ebenfalls in Brandenburg beheimateten MSR-3 die für uns lebenswichtigen Handlungen, falls wir später wohl mal ohne Hubschrauber unterwegs sein sollten. Dank des Erfindungsreichtums unserer Gruppenführer verwandelten die Übungshandgranaten einen Stahlhelm in ein 20m hoch fliegendes und inwändig geschwärztes Ei. Indes zogen über dem Gelände Mi-2 und Mi-8 ihre Runden, die sich mit der 4.Kurve zum Landanflug auf den Flugplatz in Briest begaben. Sehnsüchtig blickten wir in dem Himmel - nicht nur bei dem häufigen Ruf „Tiefflieger von reeeechts!“. In wenigen Monaten durften wir dort oben sitzen! Der Zeitraum erschien uns angesichts der dahintröpfelnden Tage der Grundausbildung eher endlos.

Sturmbahn. Aus: Handbuch für militärisches Grundwissen Sturmbahn, Fuchsbau Sturmbahn, Graben Sturmbahn, Horizontaltau Sturmbahn, Eskaladierwand Sturmbahn, Hauswand Sturmbahn, Sprung von der Hauswand Sturmbahn, Handgranaten-Wurf Sturmbahn, Kriechhindernis

Irgendwie wurden unsere innersten Wünsche von einem Vorgesetzten erhört. So wurde für einen Tag während der Grundausbildung ein Hubschrauberflug geplant. In unserem Wortlaut wurde er sogleich als „Motivflug“ bezeichnet, schließlich ging es für uns um unsere Motivation, die nächsten Wochen und Monate unbeirrt durchzuhalten und unser Bestes zu geben. So kletterten an diesem großen Tag jeweils 20 aufgeregte Offiziersschüler in den Laderaum der Mi-8, die uns mit laufender Tragschraube auf dem Flugfeld erwartete. Schon der Start trieb unseren Puls in die Höhe - lange hatten wir kein solches Gefühl mehr erlebt! Der Hubschrauberführer zog nach dem Ausflug aus der Platzrunde im Tiefflug durch das nähere Flugplatzgebiet. Die Havel kreuzte unseren Weg, Wälder und zahlreiche Seen huschten vorbei. Unsere Begeisterung kannte keine Grenzen. Stellenweise konnten wir tatsächlich einen Blick ins Cockpit der Mi-8 erhaschen, hatte doch der Bordtechniker die Tür offen gelassen und tauschte ab und an sogar seinen Platz mit unserem Kompaniechef Major Zedler - auch er kam nur selten in den Genuss des Mitfliegens. Das großzügig verglaste Cockpit bot einen bildgewaltigen Ausblick auf die Umgebung. Die Hubschrauberführer gaben sich alle Mühe, uns angehende Offiziersschüler mit Flugmanövern zu beeindrucken. Mal sausten in 15m Höhe Bäume auf das Cockpit zu, ein anderes Mal war aus dem Seitenfenster nur noch Wasser zu sehen. Nahe Wusterwitz, südlich des Sees, gerieten unsere mit fliegenden Gruppenführer völlig in Verzückung, hatten sie doch gewaltige Funkmessstationen erspäht. Unbeirrt drehte sich dort unten eine riesige P-14 im Kreise. Völlig befremdlich für uns Flieger war das da unten ihre Welt.

Nach einer halben Stunde setzte der Hubschrauber wieder auf der Rasenfläche auf und entließ uns. Die Eindrücke dieses ersten Fluges beherrschten uns noch lange.

Der erste Tag, an dem es nicht um Marschieren, Sturmbahn oder Taktik ging.

Vereidigung

Höhepunkt der Grundausbildung in der NVA war stets die Vereidigung. Auch für uns Offiziersschüler war dies ein besonderer Tag. Nicht so sehr wegen des Fahneneides an sich, den wir als Berufssoldaten innerlich schon viel früher akzeptiert hatten, als vielmehr des herausragenden Umfeldes wegen. An diesem Sonntag gab es außer der Feierlichkeit keine Aufgaben.

Vereidigung: Der Jahrgang 86...und OS Hietschold

Wir bewegten uns in einer richtigen Paradeuniform - Stiefelhose, weißes Hemd, Uniformjacke, Koppel, Chromlederstiefel. Nicht der Geruch der tagtäglich durchgeschwitzten Felddienstuniform. Wir bekamen unser Frühstück nicht in unserem üblichen Speisesaal; es wurde uns im Speisesaal der Offiziere gereicht – inklusive richtigem Kaffee. Nach dem Frühstück Abrücken zum Ort des Zeremoniells. In Brandenburg wurde für diese Feierlichkeit gern die Gedenkstätte am Marienberg außerhalb des Kasernengeländes auserwählt. Wenn es auch schon September war, so schwitzen wir doch noch gewaltig unter unseren Stahlhelmen – das exakte Marschieren unter den Augen der Öffentlichkeit und das einstündige Stehen auf dem gepflasterten Platz war anstrengender, als wir uns es vorgestellt hatten. Aber gern nahmen wir die Unannehmlichkeiten in Kauf, war doch im Anschluss an die Veranstaltung das Wiedersehen mit unseren Freundinnen, Eltern und Bekannten möglich. Aus den Augenwinkeln heraus hatte ich meine Familie längst erspäht, die Kontaktaufnahme war natürlich noch nicht möglich. Aber nach dem „Wegtreten!“, das wir alle noch militärisch exakt durchführten, ging der Sturm los. Mehr als 2 Wochen lagen hinter uns, in denen wir zweifellos neue Menschen geworden waren. Nicht nur die Uniform als Äußerlichkeit trug dem Rechnung; auch innerlich hatten wir einen großen Weitblick gewonnen, übernahmen nun Verantwortung und bewährten uns im Kollektiv, mit dem wir 24 Stunden am Tag zusammen waren. Natürlich strotzen wir vor körperlicher Leistungsfähigkeit; täglicher Frühsport und die physische Ausbildung hatten uns immens gestählt.

Nach der Rückkehr in die Kaserne konnten wir frisch vereidigten Offiziersschüler unseren ersten Ausgang genießen. Gemeinsam mit unseren Besuchern, die sogar einen Blick in die tags zuvor vorbildlich auf Hochglanz gewienerten Unterkunfts- und Lehrbereiche werfen durften, war Ausgang am Standortbereich Brandenburg bis zum Abend möglich. Natürlich wurden wir nicht ohne eine entsprechende Belehrung in die zivile Welt entlassen. Exakt und steif bis in die letzte Haarwurzel bewegten wir uns durch Brandenburg und hätten keiner Standortstreife Anlass zur Kritik geboten. Wir genossen die wenigen Stunden, die uns mit unseren Freundinnen verblieben.

Dieses Erlebnis musste uns auch für die verbleibenden 2 Wochen der Grundausbildung Auftrieb geben, in denen es unbeirrt weiter um tagtägliche Aufgaben des Soldaten ging. Von uns allen fiel eine große Last ab, als die Grundausbildung zu Ende war. Nicht nur das Leben mit diesen „niederen Aufgaben“ hatte ein Ende, sondern auch das Gefühl, ein einfacher Soldat zu sein, ebenso wie das tägliche Tragen der Felddienstuniform.

Das Ende der Grundausbildung wurde für uns gekennzeichnet vom ersten Urlaub, in diesem Falle ein VKU (der uns Offiziersschülern 1 Mal pro Monat gewährt wurde) mit einem zusätzlichen Tag Urlaub. Antritt zum Dienst: 1.Oktober 1986, 6.30 Uhr.

Endlose 4 Tage, in denen uns keine Trillerpfeife pünktlich um 6 Uhr weckte. 4 Tage, in denen man sich nicht nach Befehlen richten und durch das Gelände jagen musste. 4 Tage, die man gemeinsam mit seiner Freundin genießen konnte.

Urlaub

Der VKU, der für uns Offiziersschüler die Grundausbildung von der theoretischen Ausbildung trennte, neigte sich seinem Ende zu. Für die meisten von uns war der Urlaub eine neue Erfahrung, insbesondere, da man einen großen Teil der Zeit mit der Deutschen Reichsbahn verbrachte. Natürlich war jedermann bestrebt, den Urlaub so lange wie möglich auszudehnen; dementsprechend war die Rückkehr in die Dienststelle oftmals mitten in der Nacht oder erst gegen Morgen. Der erste Urlaub war für uns damit ein Vorgeschmack auf zukünftige Erlebnisse, die uns vor allem die Deutsche Reichsbahn nicht zu knapp bescherte.

Der Urlaub war in Ausgangsuniform anzutreten; wir Offiziersschüler als Berufskader wurden auf diese Art in ein weißes Hemd oder in eine weiße Hemdbluse gezwungen. Ein weithin sichtbares Signal über unseren „Status“. Zivilkleidung war offiziell nur am Urlaubsort gestattet, wenngleich das im Laufe der Jahre viele nicht davon abhielt, unerlaubter Weise diese Sachen im Spind aufzubewahren (und geschickt vor Vorgesetzten zu tarnen) und sich flugs im Zug umzuziehen. Bis zum Beginn des 4.Studienjahres war die Uniform bei Urlaubsantritt und -rückkehr obligatorisch, danach war uns Zivilkleidung außerhalb des Dienstes erlaubt.

UrlaubsscheinUrlaubsschein

Vor den Urlaub setzte die Dienstvorschrift und das militärische Leben den Urlaubsschein, quasi als die Erlaubnis, um überhaupt in Urlaub fahren zu dürfen. Vor dem Urlaubswochenende vermerkte jederman -sofern er keinen Dienst hatte- seinen Anspruch im Urlaubsbuch. Unser stellvertretender Zugführer stellte nun die Urlaubsscheine aus. Anschließend wanderte alles zum vorgesetzten Zugführer bzw. Kettenkommandeur, der es dann geehmigen und unterzeichnen musste.

In der NVA gab es für fast alles eine 3stufige Hirarchie, und viele Genehmigungen mussten von 3 Vorgesetzten unterschrieben werden (GESEHEN - BEFÜRWORTET - GENEHMIGT).

Der Papieraufwand für die Urlaubsabwicklung hatte insgesamt gewaltige Ausmaße, insbesondere mag man sich gar nicht den Aufwand in allen Truppenteilen der NVA vorstellen (alten Berichten zufolge gab es in den Anfangszeiten der NVA eine Verpflichtung zum Urlaubsschein sogar für die Offiziere, die sich nur vom Standort entfernten). Jedes Wochenende wurden etliche Dutzend an Scheinen allein unter uns Offiziersschülern ausgestellt. Es gab schon Zeitpunkte, an denen das Papier knapp war und man um seinen Urlaub bangte, da man ganz einfach nicht an den nackten Urlaubsschein herankam - gut beraten waren auf alle Fälle diejenigen, die so ein Dokument noch irgendwo in der stillen, geheimen Ecke aufbewahrten. Für den Notfall gab es sogar (natürlich unerlaubt) schon unterschriebene Blanko-Urlaubsscheine, manchmal sogar von einer anderen Dienststelle abgestempelt (aber wer guckte am KdL schon auf die Postfach-Nummer). Auch ich hatte so etwas, brauchte es aber nie in Anspruch nehmen :-).

Mit dem Dokument "Urlaubsschein" durfte man -unter Vorlage bei der Reichsbahn- vom ermäßigten Fahrpreis Gebrauch machen, so wie ihn auch Schüler und Studenten bekamen. So kam man mit 6,50M bis Erfurt. 4 Mal im Jahr wurde uns zugestanden, kostenlos mit einer Militärfahrkarte zu reisen und so das Geld für die Bahnfahrt zu sparen. Auf der Fahrkarte musste unter allen Umständen der Abfahrt- und Ankunftsort vermerkt werden, schließlich sollte man ja nicht sonstwohin fahren, daneben auch Datum und Stempel der Dienststelle.

Ansonsten waren wir erfinderisch und füllten sie mit einem Füller aus - und hatten damit unter Umständen eine zweite kostenlose Fahrt ergaunert, wenn nämlich die Deutsche Reichsbahn in den großen Wochenend-Reiseansturm nicht dazu kam, die Fahrkarte zu entwerten. So wurde von uns einfach ein "Update" des Datums vorgenommen, schon war die Sache für die nächste Urlaubsfahrt erledigt.

Ermäßigungskarte Militärfahrkarte

Im 4.Studienjahr erhielten wir unsere Dienststellenausweise und konnten uns damit ohne Urlaubsschein außerhalb der Kaserne bewegen. Generell gab es dann für uns auch Zivilerlaubnis. Ohne militärisch sanktionierten Urlaubsschein erstanden wir bei der Reichsbahn wieder "bürgerliche" Fahrkarten. Damit wir jedoch als Studenten nicht zu tief in die Tasche greifen mussten, gab es Berechtigungskarten für ermäßigte Zugfahrten, gegen deren Vorlage wir am Fahrkartenschalter den ermäßgten Preis für Fahrten 2.Klasse erhielten.

Triebwagen, Oschi-Express (Quelle: Colin Cromm / keule.name)

Ich selbst nutzte auf der Rückfahrt zum Dienstort recht häufig auf dem letzten Stück der Strecke zurück in den Dienstort den von uns respektlos als „Oschi-Express“ bezeichneten Triebwagen, der um 23.43 Uhr in Magdeburg seine Reise antrat und allsonntäglich fast ausschließlich Armeeangehörige wieder zu ihren Standorten transportierte. Bevor jedoch der Zug an allen möglichen Bahnhöfen seine Soldaten ausspieh, mussten wir Offiziersschüler häufig Erfahrungen mit dem Unwillen der Grundwehrdienstleistenden sammeln. Dass diese nicht immer gut auf Berufssoldaten zu sprechen waren, ist keine neue Erfahrung gewesen. Üblich waren verbale Angriffe, die harmlos mit einem „Sssss…“ aus dem Munde der Soldaten anfingen -in Anspielung auf das „S“ auf unseren Schulterklappen. Meistenteils konterten wir OS mit entsprechenden Bemerkungen („Prima gesungen! Hier hast Du einen Pfennig…“) und antworteten auf die rhetorisch-ironischen Fragen was das „S“ wohl heiße, mit vorgefertigten (sinnlosen) Sätzen wie „Sprengmeister, 2 Mal verschüttet!“, je nach Anzahl der Balken auf unseren Schulterklappen. In aller Regel ließ man es dabei bewenden, denn zumeist traf man auf umgängliche Menschen und jede der beiden Seiten hatte ihren Teil zu dem unliebsamen, nahezu rituellen Vorgang beigetragen. Ab und an fand man jedoch auch Zeitgenossen, die einen übergroßen Frust an den Tag legten, infolge der Gruppenstärke und des häufig konsumierten Alkohols sehr mutig wurden und Handgreiflichkeiten vom Zaune brachen. Meist hatte man als zahlenmäßig unterlegene Offiziersschüler-Fraktion keine ernsthafte Chance, eine körperliche Auseinandersetzung unbeschadet zu überstehen; auch war der drohende Verlust von Uniformmützen oder Gepäckstücken, welche die kollektiv aufbrausenden Soldaten aus Ärger durch die Gegend oder aus dem Fenster warfen, wenig angenehm. So bemühten wir uns, rechtzeitig aus dem Zugriffsbereich der entsprechenden Soldaten zu entkommen.

Mit dem Eintreffen auf dem Brandenburger Bahnhof, was in meinem eigenen Falle planmäßig 1.17 Uhr war, musste eine weitere Hürde genommen werden: der Weg vom Bahnhof bis zur Dienststelle in der Magdeburger Straße. Was wir am Tage unserer Einberufung noch mit der Straßenbahn zurücklegen konnten, wuchs des Nachts auf eine große Länge an: keine Straßenbahn! Die wenigen Taxis, die an DDR-Bahnhöfen ihre Fahrgäste nur selten suchen mussten, waren in aller Regel hoffnungslos vergriffen. Heerscharen von Soldaten aus den weiter entfernten Truppenteilen in Hohenstücken, Kirchmöser oder Briest waren bereits eiligen Fußes zu ihnen gestürmt. So absolvierten wir Offiziersschüler zumeist noch einen Fußmarsch von ca. 25 Minuten, bevor wir das KDL erreichten (und mehr als einmal die Wache in ihrem Häuschen wecken mussten). Nun konnten wir für die verbleibenden 4 Stunden in unsere Betten kriechen.

Der Montagmorgen weckte uns zumeist unsanft. Mit großen Sandkörnern in den Augen schleppten wir uns zu Frühsport und Unterricht und trachteten nur danach, den Tag irgendwie zu überstehen.

Nicht immer schaffte die Deutsche Reichsbahn, sich den Wirren des Alltages und den Wetterunbilden erfolgreich zu widersetzen. Insbesondere in den Wintermonaten mit endlosen Schneefällen waren Verspätungen beständige Begleiter. Unangenehm für diejenigen, die auf ihrer Reise noch einmal umsteigen mussten und nun infolge der Verspätung des ersten Zuges vom anderen nur noch die Schlusslichter oder gar nichts mehr sahen. War abzuschätzen, dass nun keine Chance mehr auf ein pünktliches Eintreffen in der Dienststelle bestand (in aller Regel 6.30Uhr, abgesehen von den Ausnahmen während der fliegerischen Ausbildung), mussten wir uns eine solche Verspätung offiziell bei einen Bahnhofsbediensteten bestätigen lassen; auf dem Urlaubsschein waren auf der Rückseite schon entsprechende Felder vorgesehen. Da wir nie wissen konnten, ob nicht auch der nächste Zug sein Ziel nur mit großer zeitlicher Verzögerung erreichen würde, waren wir auf alle Fälle gut beraten, uns gleich die allererste Verspätung bestätigen zu lassen, selbst wenn wir noch einen (theoretisch) pünktlich ankommenden Anschlusszug bekamen. Nicht selten hetzten wir dabei über die Bahnsteige der großen Bahnhöfe. Fast wären wir allein aus dem Bedürfnis, der Bürokratie Genüge zu tun, zu spät zu unserem nächsten Zug gekommen - zumal sich vor den Diensträumen der Bahnhofsaufseher häufig reichlich Uniformierte angesammelt hatten und ebenso wie wir ihres Stempels harrten.

Im Anschluss an diesen papiernen Vorgang war auf alle Fälle die Dienststelle telefonisch zu verständigen. Natürlich traf man vor dem Münzfernsprecher alle Uniformierten von eben wieder. Um diese Uhrzeit erreichten wir ohnehin nur den OvD des Truppenteils; dieser leitete dann die Nachricht an den UvD der Einheit weiter. Durch ein Nicht-Melden der verspäteten Ankunft riskierten wir, dass wir am nächsten Morgen sofort vom Vorgesetzten vermisst und des Vergehens Unerlaubte Entfernung von der Truppe bezichtigt wurden.

Die Reichsbahn meinte es jedoch nicht nur schlecht mit uns und bescherte uns ab und an noch einige (fahrplanmäßige) Nachfolgezüge. Die kamen in Brandenburg zwar rechtzeitig genug für einen pünktlichen Dienstbeginn an, zwangen uns jedoch eine enorme Wartezeit bis zu deren Abfahrt auf. Unter Umständen brachten wir endlose Stunden in zugig-kalten, unbequemen Bahnhofswartehallen zu. Müde, kalt und ständig aus dem Halbschlaf aufschreckend - immerhin könnte man ja den nächsten Zug verschlafen! - wurden die 3 Stunden zur Ewigkeit... Ich selbst lernte mehr als ein mal den sonst nur sowjetischen Militärangehörigen zugänglichen Wartesaal im Magdeburger Bahnhof kennen, den man wohl angesichts riesiger genereller Verspätungen (irgendwie hatten es die Schneeflocken wieder geschafft) für die Allgemeinheit geöffnet hatte, welche allerdings an einem Montag Morgen um 1.00 Uhr nahezu nur aus NVA-Angehörigen bestand. Hier war es zwar nicht zugig, aber dennoch kalt und unbequem. Die Holzbänke boten nicht wirklich Schlafkomfort. Die Unsicherheit des Verpassens des Zuges schwand mit der Zeit; eine meiner ersten Investitionen von meinem Offiziersschüler-Dienstbezug war eine Armbanduhr mit Weckfunktion.

Eine morgendliche Ankunft in Brandenburg bot für uns den Vorteil, dass die Straßenbahn ihren Betrieb bereits wieder aufgenommen hatte. Und uns so leichten Fußes in die Dienststelle beförderte. Mit etwas Glück schaffte man seinen „pünktlichen“ Dienstantritt um 6.30. Einen Vorgesetzten kümmerte es wenig, wenn man sich erst jetzt beim UvD zurück meldete. Schließlich waren wir selbst Schuld, wenn wir die ganze Nacht auf der Bahn zubrachten.

Der Frühsport war vorbei, wir konnten den Tag mit Frühstück beginnen - so könnte es immer sein! Schnell das weiße Hemd in ein graues gewechselt und so die Ausgangsuniform in eine Dienstuniform verwandelt, und schon konnte der Tag starten.

Das Schlafdefizit der vergangenen Nacht rächte sich jedoch oftmals eher, als man es von „normalen“ Urlaubswochenenden gewohnt war. So lange der Dienstbetrieb seinen Tribut forderte und uns körperliche Aktivität abrang, konnten wir mithalten; schließlich waren wir seit der Grundausbildung Kummer gewohnt. Sobald wir jedoch die erste Stunde in unserer ruhigen, warmen Lehrklasse saßen und der Lehroffizier mit seinen einlullenden Vorträgen begann, übermannte der Schlaf nicht wenige Kameraden… Freilich hatten wir schon während unserer ersten Wochen der theoretischen Ausbildung eine gewisse Meisterschaft im unbemerkten Vor-sich-Hin-Dösen während des Unterrichts erlangt. Den Kopf in die Hand gestützt und eine süffisante Denkerpose vorgaukelnd, konnte sich so mancher durch die Stunde retten; das gesenkte Haupt gestattete dem Lehroffizier ohnehin keinen Blick auf die (geschlossenen) Augen. Der Gefahr, beim Einschlafen spontan abzurutschen und vielleicht noch mit dem Kopf auf die Bank zu schlagen, begegneten die wahren Meister durch einen unter den Ellenbogen gelegten Radiergummi. Der behielt auch unter den waghalsigsten Belastungen seine Position bei und bewahrte den Dösenden vor unerwünschter Entdeckung. Die echten Künstler indes konnten Schlafen und Zuhören gleichzeitig. Mit einem kurzen Räuspern erhoben sie sich von ihrem Stuhl und konnten sogleich dem Lehroffizier auf seine Frage antworten.

Tagesdienste

Nicht nur die theoretische Ausbildung war neu. Neben dem veränderten Tagesablauf kamen in der Folgezeit vielfältige Tagesdienste hinzu. Während wir in der Grundausbildung von solcherlei Dingen ausgespart wurden, hatten wir nun als Offiziersschüler des 1.Studienjahres nicht wenige davon zu absolvieren. Mit schadenfreudeloser Genugtuung konnten nun die Offiziersschüler der höheren Studienjahre diese an uns abtreten. Generell wurde nahezu alles, was in einer militärischen Dienststelle zu bewältigen war, von den Armeeangehörigen selbst erledigt; warum sollte also das Säubern von Fluren, Zimmern und Rasenflächen, der Abwasch in der Küche oder die Bewachung der Einheiten und Objekte davon ausgenommen sein?

In der Folgezeit verrichtete jeder Offiziersschüler ein bis zwei Mal im Monat einen Tagesdienst. Die Dienstplanung oblag in aller Regel den ZF/OS und untergeordneten Gruppenführern, die allesamt ebenfalls Offiziersschüler waren. Natürlich konnte man sich auf diese Art als ungeübter Gruppenführer schnell unter seinen Kameraden unbeliebt machen - aber an der Notwendigkeit der Dienste führte kein Weg vorbei und man trug nach einigen unvermeidlichen Diskussionen seine Aufgaben mit Fassung.

Zu unseren regelmäßigen Aufgaben zählten

  • UvD (Unteroffizier vom Dienst)
  • GUvD (dessen Gehilfe)
  • Küchendienst
  • GdL (Gehilfe des Diensthabenden Lehrers)
  • GOvD (Gehilfe des Offiziers vom Dienst) im 4.Studienjahr
  • DhS (Diensthabender des Speisesaals) im 4.Studienjahr.

Unabhängig davon absolvierten wir während der fliegerischen Ausbildung auch den DHQ (Diensthabender Quadrat). Normale Bereitschaftsdienste wurden für uns Offiziersschüler ebenfalls befohlen: während der theoretischen Ausbildungsphasen (wegen der besseren Verfügbarkeit) der Melderzug, dessen ca.15 Angehörige innerhalb von 5 Minuten beim OvD antreten mussten, oder während den fliegerischen Ausbildungsperioden die so genannte Sicherungsgruppe mit einer Alarmierungszeit von 1h.

Auf unserer Unbeliebtheitsskala ganz oben rangierte jedoch der Küchendienst (intern als "Muchtenprinz" tituliert), von uns in den ersten beiden Studienjahren zu absolvieren. Zwar war er der zeitlich überschaubarste, von 6.00 Uhr bis ca. 19.00 Uhr, jedoch bot die überalterte Dienstelle in der Magdeburger Straße nicht den geringsten küchentechnischen Komfort. Was in anderen Dienststellen längst mit Technik wie Geschirrwaschanlagen bewältigt wurde, war hier reine Handarbeit. Sämtliches Geschirr wurde einer Handwäsche unterzogen. In der glitschigen Küche kämpften die 2 Offiziersschüler in der endlos kochdunstgeschwängerten Luft mit vereinzelt zirpenden Kakerlaken um ihren Arbeitsraum. Je nach Elan und Dienstbeflissenheit kamen die Kunststoffteller nur mittelmäßig gründlich gespült und getrocknet für die nächste Mahlzeit wieder zum Einsatz. Porzellan, welches es nur für den Offiziersspeisesaal gab, wurde von uns zwar nicht gründlicher behandelt, aber vor der Ausgabe an die Hungrigen von einer (zivilen weiblichen) Küchenkraft ebenso wie das Besteck nochmals mit einem Geschirrtuch gewienert. Immerhin: jeder Offiziersschüler hatte sein eigenes Besteck und musste sich darum selber kümmern. So konnte man wenigstens das als einigermaßen sauber ansehen.

Während die beiden Kameraden des 2.Studienjahres schon die „gute“ Arbeitsstelle als Tellerwäscher in der 1.Etage innehatten, mussten die Anfänger des 1.Studienjahres sich in der meistenteils noch widerlicheren Topfküche im Erdgeschoss des altertümlichen Küchengebäudes betätigen. Riesige Töpfe und Pfannen, Schüsseln und dergleichen wurden dort in einem noch riesigeren Kessel von anhaftenden Essensresten befreit. Trotz eifrigen Einsatzes von Spülmittel eine meist nur mittelmäßig gründlich zu bewältigende Aufgabe. Insbesondere der widerliche Geruch hing uns nach einem solchen Dienst tagelang in der Nase und verdarb die rechte Freude an tiefem Restekratzen in Salatbehältern, die wir allabendlich an unserem Buffet fanden.

Als UvD bzw. dessen Gehilfe (GUvD) oblag uns die Sicherheit der Einheit und die Kontrolle des Tagesablaufes. Immerhin war es der UvD, der sich um das Wecken der Offiziersschüler kümmerte - je nach persönlicher Veranlagung und dem eventuell anwesenden Kontrolloffizier ging er hier mit der Trillerpfeife zu Werke oder knipste beim persönlichen Durchgehen durch die Unterkünfte nur dezent das Licht an. Dass wir nun aufstehen und zum Frühsport mussten, wussten wir selber. Trotzdem der Dienstablauf des UvD gnadenlos schlauchte, war er uns erheblich lieber als der Küchendienst. Vor der Vergatterung um 15.30Uhr (Dienstantritt 16.00 Uhr) war vom Offiziersschüler die Ausbildung bis zum Mittag auf jeden Fall mit zu absolvieren; immerhin bekam er am nächsten Tag nach Dienstende 16.00 Uhr „frei“. Umbarmherzig forderte der Dienst sein Tribut: insbesondere die Nacht wurde lang und unangenehm. Stets musste einer von den beiden (UvD oder GUvD) zugegen sein, so wurde sich die Zeit der Nachtruhe geteilt. Zumeist hatte der GUvD das schwerere Los und musste von 22.30 bis 2.00 ins Bett, um sodann bis 5.30 Uhr allein an seinem Pult im Dienstzimmer zu sitzen. Nicht selten übermannte uns dabei der Schlaf. Immerhin hatten wir bereits die Fähigkeit erworben, in unmöglichsten Stellungen, wie auf zwei Stühlen oder mit dem Kopf auf dem Tisch, zu schlafen. Schlecht nur, dass ein Kontrollbesuch des OvD mitten in der Nacht kaum vorhersehbar war und den Dösenden in seiner Vorahnung immer wieder aufschrecken ließ. Schließlich war dem OvD beim Betreten des Kompanie- bzw. Staffelflurs sofort diensteifrig Meldung zu machen. Natürlich waren alle Offiziersschüler-Generationen erfinderisch genug, um den UvD der jeweils anderen Einheit telefonisch zu „warnen“, wenn der OvD auf dem Kontrollgang und zu ihm unterwegs war.

Im Laufe unseres ersten Jahres wurde im Geschwader ebenfalls die Sicherstellung der Wache im Objekt Magdeburger Straße durch Offiziersschüler des 1.Studienjahres befohlen – zumindest an den Wochenenden und für einen begrenzten Zeitraum bis zum Antritt der fliegerischen Ausbildung. Normalerweise hatten wir als angehende Flieger eine solche Aufgabe nicht in unserem Ausbildungsumfang. Sie kam nun völlig überraschend auf uns zu und führte nahe liegend zu großer Verärgerung. War man am Wochenende schon nicht zu Hause, so kamen nun noch 24 Stunden Wache ab Samstag 16.00 Uhr hinzu. 2 KDLs und Postenbereiche waren zu besetzen. Mit MPi bzw. Pistole für den Wachhabenden schlugen wir uns nun wieder die Nacht um die Ohren, eifrig in kameradschaftlich-wohlwollende Planungen verstrickt, wie man wohl jedem von uns wenigstens 4 Stunden Schlaf am Stück organisieren könnte. Immerhin musste stets einer am/im Objekt weilen, ein weiterer Offiziersschüler hatte regelmäßig den Kontrollbereich hinter der Objektmauer abzugehen. Und zu allem Überfluss: die Wache war todsterbenslangweilig! Man konnte sich seine Zeit tatsächlich nur mit leisem Radiohören verbringen – für das Lesen war man zumeist schon von der vorhergehenden Woche zu müde.

Der Melderzug verfolgte uns Offiziersschüler während der kompletten ersten theoretischen Periode und auch in der zweiten theoretischen Ausbildungsphase bis in das 3.Studienjahr hinein, denn erst zu diesem Zeitpunkt konnten die nachrückenden Offiziersschüler des dann frisch eingezogenen 1.Studienjahres diesen Dienst übernehmen. Der Melderzug war von uns ausschließlich während der theoretischen Ausbildungsperiode sicherzustellen, denn andernfalls wäre die befohlene Zeit nicht einzuhalten gewesen. 5 Minuten bis zum Antreten beim OvD – das verlangte auch unter den Bedingungen einer kasernierten Unterbringung extrem schnelles Handeln, wenn man nicht schon zufällig komplett uniformiert hinter der Tür stand. Eine freie Bewegung auf dem Kasernengelände während der dienstfreien Zeit war kaum möglich. Selbst am Wochenende, wenn der Regimentsklub seine Rolle als Kino wahrnahm, meldete sich der Melderzug in Uniform und umgehängter Schutzmaske (die im Melderzug stets mitzuführen war) komplett dorthin ab und wurde im Alarmfall vom UvD auch dort alarmiert.

Abgesehen von seiner eigentlichen Aufgabe, im Alarmierungsfall die Außenschläfer des Geschwaders persönlich zu alarmieren, wurde dem Melderzug noch die undankbare Aufgabe des Schulgebäude-Reinigens angetragen. Alltäglich war nach Ausbildungsende um 18:00 (dienstags um 19:30, denn an diesem Tage fand Ausbildung bis zu dieser Zeit statt) der Melderzug bewaffnet mit Besen, Lappen und Bohnerkeulen im Schulgebäude anzutreffen. Unter Befehl des DHL (Diensthabenden Lehrers) waren die Fußböden, Bänke und Tafeln auf einen ordentlichen Reinigungszustand zu bringen. Je nach persönlichem Anspruch des Offiziers wurden auch schon mal Parkett- und Fliesen(!)-Böden mit Bohnerwachs und Bohnerkeule behandelt. Das zermürbende Putzen nahm so eine reichliche Stunde des knappen Abends in Anspruch und verfolgte uns selbst am Samstag Mittag, zumeist noch in erweiterter, gründlicherer Form, wenn der andere Teil der Offiziersschüler in Urlaub fuhr.

Dagegen nahm sich der Dienst als Sicherungsgruppe regelrecht harmlos aus. Im Alarmierungsfall galt für sie eine Zeit von x+60, die Aufgabe war die Unterstützung von im Geschwader zusammengestellten Gruppen im Alarmfall. Mit Fliegen hatte all das nichts zu tun; für einen solchen Fall hätte unsere Ausbildung wohl beim besten Willen nicht genügt. Die Sicherungsgruppe wurde im HAG kaum jemals als solche alarmiert. Auf Grund der langen Alarmierungszeit konnte man sich auch nahezu beliebig im Objekt bewegen, sofern der UvD oder jemand anders Bescheid wusste. Freilich gab es für sie auch keinen Ausgang; das war jedoch unter den anstrengenden Bedingungen der fliegerischen Ausbildung (einschließlich des befohlenen pünktlichen Zeitpunktes der Nachtruhe) nur selten ein echtes Handicap.

Stuben- und Revierreinigen, Außenreviere

Da es nun mal in der NVA keine Reinigungskräfte gab, die unsere Stuben putzten (jedenfalls keine besseren als wir), wurde für uns Offiziersschüler das Stuben- und Revierreinigen und damit das In-Schuss-Halten des gesamten Objektes mehr oder weniger zur regelmäßigen und aufwendigen Pflicht. Objekt der Begierde ist natürlich zuerst die eigene Stube, der man täglich ein- oder zweimal mit dem Besen entgegenrücken musste, damit nicht irgendwelcher Dreck herumflog. Die Akribie unsrerer Vorgesetzten war teilweise recht groß, so dass man tatsächlich eine gewisse Gründlichkeit an den Tag legen musste. Zu diesem Zwecke gab es morgens und abends jeweils eingeplante Zeit zum Stuben- und Revierreinigen, wo neben dem Besenschwingen im Zimmer auch das Leeren des Mülleimers und das Reinigen des zugeteilten Revieres zu erfolgen hatte. Dabei wurde jede zugängliche Fläche im Kompanie- bzw. Staffelbereich bedacht, wie Flure, Toiletten, Treppenaufgänge und all die anderen Sachen. Aber zunächst die Stube: die tägliche Schnellreinigung erschöpfte natürlich nicht das gesamte Bedürfnis nach Sauberkeit. In regelmäßigen Abständen, so alle 1-2 Wochen, gab es auch ein großes Stuben- und Revierreinigen, bei dem auch der zimmereigene Parkettfußboden mit Bohnerwachs versorgt wurde. Alle Monate war darüber hinaus auch Fensterputzen angesagt, und hierbei reichte nicht die Arglosigkeit der modernen Hausfrau aus: das Putzen unserer Doppelfenster (unabhängige Flügel) mit ornamentierten Oberlichtern erfolgte unter allen Umständen und unabhängig von äußeren Bedingungen, also auch bei Dunkelheit und Regen. Sachen, bei denen selbst heute meine Frau den Kopf schüttelt! Dafür brachten wir eifrig Wasser und unsere Zeitung zum Einsatz, um die Scheiben auf dreckfreien Hochglanz zu polieren. In nahezu unerschöpflicher Menge existierte das "Neue Deutschland" als zwangsweise durch jeden OS kostenpflichtig zu rekrutierende Zeitung, was jedoch beim Fensterputzen nicht halb so angenehm war wie die "Junge Welt", da es erheblich mehr schmierte. Erst in späteren Jahren, als es uns zu blöd wurde, leisteten wir uns gewissermaßen privat Fensterputzmittel (ja, gabs auch in der DDR) und ein vernünftiges Tuch. Die Putzqualität stieg um Größenordnungen, bei gleichzeitiger Verminderung des Zeitaufwandes.
Die Reviere kann man grob gesagt in zwei Arten unterteilen: in solche mit Wasser und solche mit Bohnerwachs. Wobei das nicht heißt, dass nicht auch in den Nassstrecken mal Bohnerwachs befohlen wurde. Damit alle OS im Laufe ihrer universellen Hauswirtschafts- und Gärtnerausbildung in den Genuss jeder Ausbildungsstätte kam, wurde regelmäßig ein Wechsel vorgenommen. Jedes Revier gleichermaßen mit Nachteilen behaftet... Einen grundlegenden Wissens- und Technologievorsprung gegenüber dem modernen Menschen des 21.Jahrhunderts gewannen wir durch eifrigen Einsatz von Bohnerwachs - eine Chemikalie, die heute schon eher ausgestorben scheint. Es war eine prima Aufgabe, den Kompanieflur (Linoleum) in einer Länge von ungefähr 30m wöchentlich ein mal mit Bohnerwachs zu bedecken und dieses vorteilhafterweise leicht antrocknen zu lassen. Alsdann genügte es, im Laufe der Woche täglich morgens und abends mit einer handbetriebenen Bohnerkeule den Boden auf Hochglanz zu polieren und den Dreck zusammenzufegen. Die Bohnerkeule war mithin das zweitwichtigste Mittel, um den Anschein eines vorzüglich gepflegten Revieres zu erwecken. Deprimierend an solchen zeit- und kraftaufwendigen Aktivitäten ist jedoch, dass keiner um diesen Flur einen Bogen macht und damit sogleich wieder mit frischen Tapsen bedeckt.

Auch in den Nassrevieren wurde man nicht schneller glücklich: des Morgens waren die Toiletten und Waschräume mit reichlich Wasser von den Gebrauchsspuren zahlreicher OS zu befreien. Insbesondere auf den Toiletten - und dort auf den "Arbeitszylindern" - traf man während der Reinigungsrunde in Zeitnot auf zahlreichende Stuhlende, mit denen man gewissermaßen um die Toilettenbecken buhlen musste. Also half eigentlich nur noch der Ruf "Füße hoch!", und dann ergoss sich ein eifriger Wasserschwall über den Fußboden bis in die Boxen hinen. Damit war den Boden in aller Regel zufrieden, und die Verrichter ihrer Notdurft wurden mit dem Befehl bedacht, ihre Objekte doch in entsprechend gereinigtem Zustand zu verlassen. Da sich im Laufe der Zeit so jeder seinen Stammplatz in den Boxen erkämpfte, waren irgendwann auch schon die entsprechenden Offiziersschüler bekannt. Die regelmäßig befohlene Reinigung aller Arten von Toilettenbecken aus hygienisch-ästhetischen Gründen - mit Salzsäure - wurde von den betreffenden OS durchaus mit freiwillig angelegter Schutzkleidung (Schnuffi und wenigstens Handschuhe) vollzogen.

Viel Aufwand erforderte auch die Pflege unseres reichen Außenreviers. Da das Objekt in der Magdeburger Straße ein historisches Anwesen mit reichlichem Kastanienbestand war, ist regelmäßig mit entsprechenden Aktivitäten dem Laub zuleibe gerückt worden. Eindrücke der gewaltigen Freiflächen waren ja bereits weiter oben zu bestaunen. Mit Beginn des Herbstes flogen Unmassen von Laub über die Grasflächen, und zum großen Stuben- und Revierreinigen (einmal wöchentlich, dafür fielen z.B. Mittwoch nachmittag 1 oder 2 Unterrichtseinheiten aus; das nannte sich im Stundenplan "ZVKK"-"Zur Verfügung Kettenkommandeur") rückte auch mal eine größere Anzahl von OS in das Gras ab, um Berge von Kastanienlaub zusammenzuharken. Nicht weniger aufwendig war das Verbringen des Laubes in große Säcke und der anschließende Transport zu einer Sammelstelle im Objekt. Nun waren ja gar nicht so viele Säcke da wie eigentloch benötigt wurden, so dass sie mehrfach verwendet werden mussten.Öfters halfen wir uns mit der operativen Entscheidung, auf den Wiesen einen respektive mehrere Berge zusammenzutragen und unter Missachtung von Umweltgedanken anzuzünden. Schließlich waren wir ja dafür in einem militärischen Objekt. Die Kokelei war wirklich prima!

Das Außenrevier war natürlich auch eine beliebte Aufgabenstellung für unsere Wochenenddienste, die wir zur Sicherstellung von Melderzug und Sicherungsgruppe im Objekt verbrachten. Ab und an kam also auch der OvD auf den Gedanken, dass wir samstags oder sonntags einige Stunden in den Außenrevieren verbringen sollten. Unsere Laune stieg dadurch nicht im mindesten, da nunmal eine solche Arbeit sehr frustrierend und langweilig ist. Oftmals kam man gar nicht zu seinen eigentlich vorgenommenen Aufgaben. 
Das Außenrevier vermochte uns mit vielfältigen Aufgaben zu binden. Wenn es Sommer wurde und das Laub nicht in Strömen von den Bäumen rieselte, wuchs dafür das Gras um so eifriger. Als Konsequenz wurden ab und an zwei Offiziersschüler abgestellt, die mit einem Rasenmäher die Wiesen beackern sollten (Aus meiner Sicht passierte das öfters im 2.Studienjahr, insbesondere den OS, die nicht flogen). Nun ist ein solcher Rasenmäher der NVA-Ära nicht mit heutigen Baumarktprodukten vergleichbar. Zunächst lief das Ding mit 380V Drehstrom, so dass man stets ein kilometerlanges Stromkabel hinter sich herzog. Dazu ist im übrigen der zweite OS nötig gewesen... Außerdem gab es zu diesen Zeiten nur einen rudimentären Schutz vor herumfliegenden Teilen, so dass des öfteren bei unsachgemäßer Befahrung des Grasackers Steine nach Art einer altrömischen Steinschleuder sich ihren Weg ins Freie suchten. Froh waren wir schon, wenn keinem etwas ernsthaftes passierte. Natürlich gab es damit auch keinen Fangkorb, und das gemähte Gras musste anschließend zumeist unter reger befohlener Beteiligung von vielen Offiziersschülern zusammengeharkt und irgendwie entsorgt werden, womit uns das Schicksal des Herbstes wieder eingeholt hatte. Gelegentlich verspürten die zwei verantwortlichen OS nur ein minder großes Bedürfnis, an diesem Tage weiter dem Grasmähen zu frönen und fanden auch schon mal den Ausweg darin, mit dem Mäher kurzerhand über das Stromkabel zu fahren. Da hatte der zweite Mann mal wieder gepennt. Und 3 Tage Ruhe, bis es repariert war!

Nun mag sich der mitdenkende Leser wohl wohl für uns freuen, dass der Winter uns wenig Laub und Gras bescherte. Aber der Trugschluss liegt nicht weit, auch gewaltige Schneemengen wollen fachmännisch bekämpft werden. Bei geeigneter Witterung fing das Schneeschippen oftmals schon am Morgen an, wenn statt des Frühsports diese Art der Betätigung befohlen wurde. Sicherlich war es für uns in diesem Moment nicht das unangenehmste...kein Sport und trotzdem wurde uns warm. Nervig wurde es jedoch, wenn der Schneefall über den Tag hinweg anhielt und des Abends noch eine Extrarunde befohlen wurde. Dieses Mistwetter verstand es tatsächlich, einem OS den Studien-Feierabend zu verderben!
Für den Flugplatz gibt es da geeignete Technik, aber von dem waren wir in unserem Objekt kilometerweit entfernt...

Dienstbezüge

Auch wir Offiziersschüler lebten nicht ohne Geld. In der NVA war alles diesbezügliche auf Heller und Pfennig geregelt, wenn zum Teil auch in unübersichtlichen bürokratischen Machwerken. Alles jedoch kein Vergleich zu heutigen Verhältnissen!

Dienstbezüge
1.Studienjahr 400,-
2.Studienjahr 450,-
3.Studienjahr 500,-
4.Studienjahr 550,-
während der fliegerischen Ausbildung zusätzlich ("Flugzulage") 
Erschwerniszulage 150,-
Gefahrenzulage 150,-
Für Verheiratete ohne Wohnung am Standort 
Trennungsgeld 70,-
Verpflegungsgeld siehe nachfolgendes Kapitel

Damit erging es uns Offiziersschüler finanziell sehr gut, gemessen an anderen Werktätigen in der DDR. Hinzu kam natürlich, dass man für seine Verpflegung und Unterkunft auf Grund der kasernierten Unterbringung ja nichts bezahlen musste, so dass am Ende des Monats eigentlich immer genug zum Sparen blieb. Als Offiziersschüler im 4.Studienjahr brachte ich es während der fliegerischen Ausbildung auf über 900,- im Monat. Eine Summe, die die meisten Ingenieure im zivilen Bereich nicht bekamen.

Sehr viel Mühe, das umfangreiche Konglomerat von Dienstbezügen auseinanderzunehmen, hat sich Veith auf der ddr-luftwaffe.de gemacht. Hier findet man zu den meisten finanziellen Fragen eine Antwort.

Die Verpflegung

Bereits weiter oben waren unsere ersten und prägenden Eindrücke des Speiselaals zu lesen. Mehr als 3 Jahre kamen wir nicht weg aus diesem Gebäude...

Während der Grundausbildung genossen wir unseren NVA-Standard-Verpflegungssatz von 4,50 Mark. Man gewöhnte sich sogar an die eine oder andere Großküchenspeise, die man zu Hause gern verschmäht hatte. Es blieb einem ja nichts weiter übrig. Immerhin hatten wir als Offiziersschüler richtige Stühle und mussten uns nicht auf Bänken herumquetschen. Mit 6 Mann am Tisch schmeckt auch das Essen ganz anders, an den Tischen wurden wir vorerst einfach nach den Gruppen der Grundausbildung platziert. Später fand man sich irgendwie nach anderen Freundschaften zusammen, im großen und ganzen gab es hier kaum Probleme. Selbstverständlich reihte sich die gesamte Verpflegung in den militärischen Tagesablauf ein; Zeitdruck war auch hier an der Tagesordnung. Der Marsch zum Frühstück erfolgte zugweise, rechtzeitiges Abrücken aus der Unterkunft und ein behender Schritt hin zum Speisesaal verhinderte meist längeres Anstehen. Schließlich war für alle OS um 6.30 Frühstück befohlen! Um 7.05 erfolgte das Abrücken vom Speisesaal, viel Zeit blieb nicht. Vom Speisesaal zurück wurde selbstverständlich im Zug marschiert, persönliche Herumgammelei im Kasernengelände wurde nicht geduldet. Im großen und ganzen hielt sich das auch die nächsten 3 Jahre.

Für Flieger wurde auf Grund der anstrengenden Tätigkeit die Verpflegung auf höhere Sätze gehoben, wir Hubschrauberführer erhielten 6,50 (Jagdflieger 8,50). Diese Regelung griff für uns bereits nach der Grundausbildung, während der theoretischen Ausbildung. Gegenüber der normalen Verpflegung wurde uns ein 2.Frühstück gereicht, was uns wahrscheinlich bei Kräften halten sollte.

Atombrot. Bild: ddr-hautnah.de

Wie sich nahezu jedermann vorstellen kann, ist die Umstellung von der guten Hausmannkost auf die Gemeinschaftsverpflegung unter militärischen Gesichtspunkten durchaus gewöhnungsbedürftig. Man musste während der Eingewöhnungsphase wirklich einige Anstrengungen unternehmen, um satt zu werden, weil einem ja nicht unbedingt jedes Essen mundet. Aber zum Frühstück und zum Abendessen konnte man sich in aller Regel mit konventionellen Sachen den Bauch vollschlagen und Nahrungsmittel für "zwischendurch" hamstern, die dann im Spind auf ihren Verzehr warteten.

Neben den üblichen Brötchen, Wurst- und Marmeladensorten zum Frühstück wurde ein mal wöchentlich Rührei gereicht, sonntags gab es sogar ein Stück Kuchen. Kleine Abwechslung! Ansonsten wurden wir mit Tee ohne Ende verköstigt (auch mit mittelmäßigem Kaffee und Milch), wobei sich ja seit allen Urzeiten und in allen(!) Armeen die Gerüchte über diverse hormonelle Beimengungen halten, die ein wenig das Alleinsein erleichtern sollten. Aber bis heute kann keiner irgendetwas beweisen, und persönlich muss man dem wohl auch widersprechen. Dazu gab es an viel zu vielen Wochenenden Kurzurlaub...

Landleberwurst. Bild: steffi@nva-forum.de "Kammfleischwurst. Bild: steffi@nva-forum.de Jagdwurst. Bild: steffi@nva-forum.de Fleischblutwurst. Bild: steffi@nva-forum.de Chester. Bild: steffi@nva-forum.de Leberwurst. Bild: steffi@nva-forum.de Grobe Leberwurst. Bild: steffi@nva-forum.de Schmalzfleisch. Bild: steffi@nva-forum.de Rotwurst. Bild: steffi@nva-forum.de

Außer der normalen Verpflegung wurde ein mal im Monat ein so genannter Komplekte-Tag veranstaltet, an dem es statt der normalen Nahrungsmittel eben die Dosennahrung gab. Damit wurde der Bestand an Konserven regelmäßig umgewälzt, und wir erhielten das Zeug deutlich nach dem Herstellungsdatum. Die Auswahl an Büchsen war durchaus bekömmlich, wenn auch beschränkt: "Atombrot" (Vollkornbrot in Konservenbüchse, was vielen tatsächlich schmeckte), Marmelade in einer Tube, Schmalzfleisch (mein persönlicher Favorit), Rotwurst, Kammfleischwurst (auch liebevoll Kamelfleisch genannt) und -nicht zu vergessen- Käse der Marke CHESTER. Über den gab es ja sehr geteilte Meinungen; man konnte ihn tatsächlich in unserem Heim- und Campinggrill verarbeiten und essen!-, aber am allerbesten soll er im Ofen gewesen sein. Gleich so, mit geschlossener Büchse, gab es mächtige Hiebe im Heizgerät, die wohl entfernt an kleine Handgranaten erinnert haben müssen! Meistenteils wurde der Komplektetag samstags veranstaltet, so dass man entweder zu Hause ein ordentliches Essen (KU) bekam oder sich des Abends wieder über sein selbstbereitetes Kulinarium hermachen konnte.

 

Nahrungsmittel-Abkürzungen
ETW
Eierteigwaren (Nudeln)
WuGu Wurstgulasch
Fibu Fisch-Bulette
WBB Warmes Bratenbrot

NVA-typisch wurden auch viele Nahrungsmittel-Kompositionen mit eigenen Abkürzungen bedacht. Grund war wohl, dass die armen Frauen an der Essenausgabe nicht so fürchterlich viel an die Tafel schreiben mussten, die uns jeden Tag den Speiseplan preisgeben sollte. Spitzen-Abkürzungen nebenstehend...

Das Essen wurde uns im Speisesaal gereicht, dessen äußere Ansicht oben schon einmal zu sehen war. Dabei gab es verschieden Säle:

  • Soldaten und Unteroffiziere
  • Offiziersschüler bis zum 3 Studienjahr
  • Offiziere, Fähnriche, BU's und OS im 4.Studienjahr
  • Fliegendes Stammpersonal (Fluglehrer)
  • Regimentsstab.

Als OS lernten wir damit 2 Speisesäle kennen, wenn man mal vom Küchendienst absieht.

Nicht ganz so hirarchich streng ging es während der fliegerischen Ausbildung auf dem Flugplatz zu, denn auch dort mussten wir selbstverständlich etwas essen. Dort gab es nur zwei Blechbaracken, die als Speisesäle genutzt wurden. Dabei existierte dann der eine für uns OS und das technische Personal und der andere für das fliegerische Stammpersonal. Allerdings waren die Bedingungen besser, als es das Wort "Blechbaracke" vermuten lässt.

Im Laufe der Jahre erarbeitete man sich seine eigenen kulinarischen Durchhaltestrategien, insbesondere für die Wochenenden. Zum Wochenende gab es das Abendessen bereits um 16.15Uhr, also zu einer Zeit, zu welcher die Briten noch nicht einmal ihren 5-Uhr-Tee geschlürft haben. Dementsprechend konnte man um 18.30 schon wieder auf ein dezentes Hungergefühl warten, welchem dann mit Essens-Kreationen auf der Stube begegnet werden musste. Zu diesem Zwecke hielt man sich in aller Regel einen Mini-Grill, der dann nach Bedarf und verfügbaren, aus der Küche entfernten Lebensmitteln, bestückt wurde und bei richtiger Bedienung einige köstliche Käse-Toasts auswarf. Kamerad Lässing brachte es zu einer gewissen Meisterschaft...Dazu wurden alkoholische Getränke gereicht, oftmals tat ein Schnaps mit Tee (man beachte die Reihenfolge...) seinen psychologisch wertvollen Dienst. Natürlich waren beide Verköstigungsmethoden auf der Stube nicht gestattet, aber über Schmuggelmethoden muss man an dieser Stelle wahrscheinlich keine Worte verlieren! Schnapsflaschen neigen allerdings unter der Beteiligung von 3 oder 4 durstigen Genossen sehr rasch zur Leere, diese mussten dementsprechend entsorgt werden. Am schnellsten ging es mit folgender Methode: Fenster auf - Flasche raus! Der Weg vor den Unterkunftsfenstern war zum Wochenende wenig bevölkert, und das "Einzugsgebiet" des Weges war groß genug, um den Verdacht über weite Kreise in mehreren Einheiten zu streuen. Die Hilfsstraße erhielt damit auch ihren eigenen Spitznamen: Kristallallee.

Eine weitere, manchmal angenehme Art der Verpflegungserweiterung war die MHO-Gaststätte, die im Objekt untergebracht war. In Brandenburg erhielt die Einrichtung den Beinamen "Schräger Looping" oder auch "Looping", und befand sich im Keller des Unterkunftsgebäudes. Der Besuch der Gaststätte war üblicherweise nur mit der Ausgangskarte gestattet, und der Betreiber des Lokals ließ sich - zumindest vor Alkoholbestellungen - die Ausgangskarte zeigen. Aus unserer Sicht hätte der Herr, der die Gaststätte bewirtschaftete, erheblich mehr Umsatz machen können, wenn die Geschwindigkeit der Abarbeitung seiner "Arbeitsaufträge" höher gewesen wäre. Aber auf alle Fälle konnte man dort schon mal ein Schnitzel mit Pommes frites bekommen, wenn einem das Kasernenessen zum Halse heraushing. Die Beschaffung einer Ausgangskarte war unter uns Offiziersschülern nicht ein solches großes Problem wie anderswo, da im Prinzip jeder in Ausgang konnte, sofern nicht andere Dienste (siehe entsprechendes Kapitel Dienste) entgegenstanden. Da auch nicht jeder, der gewissermaßen "dienstfrei" hatte, tatsächlich auch in den Ausgang verschwand (ab und an musste man ja auch noch was lernen und vorbereiten), konnte man nach Erfüllung der unangenehmen Pflichten, wie z.B. dem Schulhausreinigen, schon mal mit einem Kameraden die Bereitschaft tauschen und sich dann auf die Socken machen. Und wenn es nur bis in den Looping ging.

Für NVA-Angehörige, die nicht kaserniert untergebracht waren, wurde das Verpflegungsgeld ausgezahlt, bei 6,50 täglich kommt man im Monat auf ca.195,-. Zu diesen Zeiten eine absolut stolze Summe, auch um sich selbst zu verpflegen. Damit musste natürlich in der Dienststelle das Essen stets selbst bezahlt werden, was aber angesichts der üblichen Preise überhaupt kein Problem war. Für ein durchschnittliches Mittagessen hat man damals ungefähr 1,30 bis 1,60 Mark bezahlt (ja, das Komma steht an der richtigen Stelle!). 
Wir Offiziersschüler konnten mit Beginn des 4.Studienjahres aus der Kaserne in das Wohnheim ziehen und erhielten auch unser Verpflegungsgeld ausgezahlt.

Ausscheiden aus der NVA: E-Gesuche und weitere Entlassungsgründe

So viel Mühe, die viele von uns betrieben, um Flieger in der NVA zu werden, wurde von anderen wiederum aufgebracht, um aus selbiger wieder auszuscheiden. Die NVA ist -wie die meisten Armeen- kein normaler Betrieb gewesen, bei dem man nach Belieben kündigen konnte. Als Berufsoffiziere hatten wir uns vom ersten Tag an für 25 Jahre Dienst in der NVA verpflichtet, die später als 2.Hubschrauberführer hinzugestoßenen Fähnriche für 15 Jahre. Eine solche Dienstverpflichtung war nicht ohne weiteres aufzulösen.

Im Laufe der ersten Jahre des Studiums an der OHS entschlossen sich so einige Offiziersschüler, nun nicht mehr Offizier werden zu wollen. Nahezu gesetzmäßig ist der Anteil im ersten Studienjahr während der nicht einfachen theoretischen Ausbildung am höchsten gewesen. Viele Gründe spielten eine Rolle: man kam mit dem Soldatenleben nicht zurecht, mit der quasi verlorenen persönlichen Freiheit, mit der Unterordnung oder auch mit dem militärischen Auftrag, den man im Gegensatz zu seinem persönlichen Pazifismus sah. Die einzige offizielle Möglichkeit, aus dem militärischen Beruf auszusteigen, bestand im sogenannten E-Gesuch (Entlassungsgesuch).

Das E-Gesuch wurde beim Vorgesetzten eingereicht, und nach mehreren unwilligen Wochen wurde dem Gesuch des Betroffenen i.d.R. von oberster vorgesetzter Stelle stattgegeben und er aus dem Beruf entlassen. Der Vorgang hört sich recht einfach an, war in der Praxis aber mit viel Aufwand und persönlichen Nachteilen für den Betroffenen verbunden. Die Überwindung zu diesem nahezu unumkehrbaren Schritt war riesig. Schier endlose Gespräche mit Vorgesetzen in der Staffel, im Geschwader bis hin zum OHS-Stab über die Gründe schlossen sich an. Natürlich war kein Vorgesetzter mehr gut auf den Offiziersschüler zu sprechen, und auch im Umgang mit uns anderen OS wurde es schwieriger. Neben dem rein militärischen Vorgang erwuchsen auch Probleme in der SED-Grundorganisation (der wir OS in aller Regel angehörten), da ein solches Verhalten für uns treue Parteimitglieder natürlich nicht tragbar war. Diskussionen über den Verrat am Klassenauftrag der NVA fanden dann fast regelmäßig in der Parteigruppe statt, Anfeindungen die bis hin zum vermeintlichen Diversantentum waren an der Tagesordnung. Letztendlich war für jeden E-Ersuchenden eine Parteistrafe vorprogrammiert, in einzelnen Fällen wurde sogar ein Ausschluss(!) aus der Partei von der Grundorganisation als richtig empfunden. Aus heutiger Sicht wurde hier das Pferd am Schwanz aufgezäumt; ein Nicht-Offizier musste nicht zwangsläufig ein schlechter Genosse sein, und angesichts so mancher zwielichtiger und scheinheiliger Genossen im Zivilleben ist die Verfahrensweise zumindest fragwürdig gewesen. Sicherlich ist dies eine Folge des Abgeschiedenseins der SED-Grundorganisation innerhalb der NVA, Berührungspunkte mit der Partei außerhalb der Kaserne gab es nicht. Mehr als ein Mal wurde der Parteiausschluss, der wohl infolge des Hineinsteigerns des Kollektivs in das persönliche Unverständnis drohte, von höherer Stelle (OHS oder Kdo.LSK/LV) abgewendet.

Die auf Entlassung wartenden OS wurden alsbald von der Ausbildung entbunden und fristeten ihr Dasein schon oft als "Diensthai". Alle möglichen Dienste wurden ihnen übertragen- von Küchendienst bis UvD. Und dann das ganze von vorn. Damit wurden andere OS entlastet und er konnte seine Zeit "sinnvoll" verbringen. Nach Wochen endete das Warten. Die Entlassung aus dem Offiziersschülerdasein folgte, und hier begann oftmals ein persönlicher Leidensweg. Die Ex-Offiziersschüler bekamen i.A. keine Anerkennung ihrer Dienstzeit, so dass für sie die Ableistung des 18-monatigen Grundwehrdienstes obligatorisch wurde. Normalerweise wurden sie in andere Truppenteile, wie FTBs in der OHS versetzt und begannen einen "normalen" Wehrdienst, verbunden mit den dem Soldatenleben typischen Entbehrungen. Urlaub und Ausgang nur in großen Zeitabständen, man war ein noch kleineres Nichts als bisher. Mancher konnte dann zwar die (wenn auch mageren) Vorteile des Offizierschülerdienstes ermessen, doch hier war es bereits zu spät. Darüber hinaus erhielten die OS, die ja trotz allem eine Hochschulreife besaßen und mit selbiger ein Studium aufnehmen durften, eine Studiensperre. Bis zum Ende ihres regulären OHS-Studiums (4 Jahre) durften sie an keiner Hochschule oder Uni ein Studium aufnehmen.

Der Anteil von E-Gesuchen, gemessen am Kursumfang, ist unter uns Fliegern mit Sicherheit recht gering gewesen; das Interesse an der Fliegerei in der NVA - in der DDR nahezu die einzige berufliche Möglichkeit - war einfach zu groß, um wegen verlorener persönlicher Freiheiten die Entlassung anzustreben. Andere Waffengattungen, deren Ausbildung und Offizierleben erheblich härter waren, hatten mit Sicherheit eine höhere Quote. Ich denke, dass im Laufe meiner OHS-Zeit etwa 5 OS ihr E-Gesuch schrieben.

Für einige Offiziersschüler kam die Entlassung aus einer ganz anderen Richtung: für Flieger waren hohe gesundheitliche Anforderungen stets oberste Priorität, die alljährlich bei der FMK in Königsbrück aufs Neue überprüft wurden. Wenn auch für die Hubschrauberführer selbige unter den Forderungen an Jagdflieger blieben, waren sie nicht ohne Hindernisse. Zähne konnte man vielleicht noch reparieren, aber bei sich verschlechternden Augen oder chronischen Magengeschwüren gab es oftmals keine Möglichkeit. Der OS wurde als nicht tauglich für das Fliegerdasein eingestuft. Nur im Ausnahmefall gab es auch mal eine ganz schwache(!) Brille für die OS, wenn sie bereits über die ersten theoretischen und fliegerischen Hürden hinweg gekommen waren. Die Reaktion der einzelnen OS auf das Aus der Flugmedizinischen Kontrolle war ganz unterschiedlich. Normalerweise brach für die meisten eine Welt zusammen - nun nicht mehr Flieger werden zu können, war ein erheblicher Schlag in die Persönlichkeit. Andere erkannten nun eine weniger aufwendige Chance, dem militärischen Leben zu entfliehen und dabei doch das Gesicht zu waren. Mit Sicherheit kann man aus heutiger Sicht Offiziersschüler finden, die hier gesundheitliche "Schäden" ein wenig forcierten, um fluguntauglich geschrieben zu werden; ein Nachweis ist indessen zu NVA-Zeiten keinem Vorgesetzten gelungen, und es wäre auch fraglich, ob dies auf lange Sicht von Vorteil gewesen wäre. Zweifellos waren die Offiziere in dieser Hinsicht nicht auf den Kopf gefallen und wussten innerlich um die Ambitionen des einzelnen Offiziersschülers. Allerdings ließ sich nur selten der Verdacht des Simulierens nachweisen – und selbst wenn, was hätte man mit dem Offiziersschüler tun sollen? Er hatte keine Lust mehr, Flieger in der NVA zu werden und hätte somit seine Aufgabe ohnehin nur halbherzig erfüllt. Er wäre nicht der Pilot geworden, den die NVA brauchte. So war es besser, man entließ ihn aus der NVA. In Anbetracht einer solchen Erkenntnis trug wohl mancher Kettenkommandeur eher im Ritual zu der Unterredung mit dem Offiziersschüler bei und akzeptierte für sich den Sachverhalt der Untauglichkeit.

Mit etwas Geschick wurde der Offiziersschüler völlig normal aus der Armee entlassen und konnte einem Leben als Zivilist nachgehen.

Die Bürokratie nahm natürlich auch in den gesundheitlichen Bewertungen unter Umständen gewaltige und unergründliche Umwege. Es gab OS in meiner Fluggruppe, die mehr als 1 Jahr nach ihrer attestierten Untauglichkeit auf die tatsächliche Entlassung warteten (und nie einen Hubschrauber von innen sahen); in anderen Fällen lagen 8 Wochen dazwischen. Alles in allem blieben uns diese Vorgänge verschlossen. Die OS wurden wie alle anderen für die fliegerische Ausbildung nicht Brauchbaren zu "Diensthaien" auserkoren; theoretische Ausbildung mussten sie aus meiner Sicht mit betreiben.

Zum Problem wurde bei den Fluguntauglichen die bereits abgeleistete Dienstzeit. Niemand aus den vorgesetzten Stellen setzte ernsthaft voraus, dass der betreffende OS in einer anderen Waffengattung erneut ein Offiziersstudium im 1.Studienjahr aufnahm; kurioserweise wurde hier relativ viel "Nachsicht" geübt. Für die meisten wurde eine Dienstzeit von 3 Jahren, was dem üblichen "Studenten-Wehrdienst" als UaZ entsprach, als selbstverständlich angesehen, und natürlich wurde die bereits abgeleistete Dienstzeit als Offiziersschüler anerkannt. Bei günstiger Konstellation, also nach dem 3.Studienjahr (oder 2.SJ bei OS mit Hochschulreifelehrgang), war für den OS die Sache "Wehrdienst" erledigt. Er konnte unmittelbar in das Zivilleben zurückkehren und sogar ein ziviles Studium aufnehmen. Für diejenigen, deren 3jährige Dienstzeit noch nicht zu Ende war, stand noch die Erfüllung der 3 Jahre an. In der Regel fand man hier nicht allzu schwierige Beschäftigung innerhalb eines Geschwaders, und der OS kam letzten Endes ohne größere Entbehrungen über seine restlichen Monate hinweg.

Im Einzelfall wurden auch OS wegen ihrer mangelnden Leistung aus dem Offiziersberuf entlassen. Blieben die theoretischen und fliegerischen Leistungen über lange Zeit hinter den gesteckten Zielen zurück, wurde die Untauglichkeit als Flieger auf mehr oder weniger bürokratischem Wege bescheinigt. Dabei wurde ähnlich verfahren wie bei Entlassungen aus gesundheitlichen Gründen.