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Aerodynamik des Hubschraubers - Richtungssteuerung/ Heckschraube

Richtungssteuerung - Heckschraube

Die Heckschraube ist das zentrale Element der Richtungssteuerbarkeit des Hubschraubers. Die Tragschraube des einrotorigen Hubschraubers, die über ein im Rumpf befindliches Triebwerk angetrieben wird, bewirkt ein Rückdrehmoment auf den Rumpf. Der Rumpf hat das Bestreben, sich entgegen der Drehrichtung der Tragschraube zu drehen. (Dieses Rückdrehmoment tritt nicht auf, wenn die Tragschraube nicht über ein Triebwerk im Rumpf angetrieben wird, also z.B. bei der Autorotation oder bei einem Blattspitzenantrieb. Die Masse aller einrotorigen Hubschrauber jedoch übermittelt die Leistung aus einem Triebwerk im Rumpf. Bei Maschinen mit zwei gegenläufigen Rotoren ist ebenfalls keine Heckschraube erforderlich.)

Die Heckschraube erzeugt nun am Heck eine seitwärts gerichtete Kraft, die, da sie in am Heckträger in größerer Entfernung zum Schwerpunkt des Rumpfes angreift, ein Drehmoment erzeugt. Das Drehmoment wirkt der durch die Tragschraube verursachten Rumpfdrehung entgegen. Im Falle einer rechtsdrehenden Tragschraube (sowjetische/ russische Technik) ist eine Heckschraubenkraft nach links notwendig, bei den meisten westlichen Modellen, die eine linksdrehende Tragschraube haben, ist eine Kraft nach rechts erforderlich.

Genrell kann die für die Steuerung um die Hochachse erforderliche Kraft auf mehreren Wegen erzeugt werden; die Heckschraube ist dabei sicherlich der am meisten genutzte und technisch älteste Weg. Folgende Möglichkeiten sind nutzbar:

  • Heckschraube

    Druckschraube (HS mit rechtsdrehender TS)Zugschraube (HS mit rechtsdrehender TS)

    Bei klassischen Heckschrauben unterscheidet man nach Art ihrer Anbringung Zug- und Druckschrauben.
    Bei der Zugschraube entsteht an der Seitenflosse eine Querkraft, die der Richtung des Heckschraubenschubes entgegen gerichtet ist, sobald mit geringen Geschwindigkeit oder in der Standschwebe geflogen wird. Ursache dafür ist das unmittelbare Anblasen der Seitenflosse. Eine Verminderung dieser Querkraft kann auch mit einer Vergrößerung des Abstandes zwischen Heckschraube und Seitenflossen kaum noch erreicht werden. Eine solche Zugschraube kommt z.B. bei der Mi-2 und Mi-8 zum Einsatz.
    Die Druckschraube, wie sie in der Mi-17/Mi-8MT oder Mi-24 verwendet wird, bietet in dieser Hinsicht Vorteile. In Bereichen der Heckschraube entsteht zwar durch die Seitenflosse ein Strömungsabriss, der jedoch durch einen vergrößerten Abstand verringert werden kann.

    Historisch gewachsene Unterschiede in der Auslegung als Zug- oder Druckschraube sind nicht nur im Mil-Bereich zu finden, sondern ebenso bei den meisten amerikanischen Herstellern.

    Aerodynamisch bringt die Heckschraube durch ihren Schub einige Auswirkungen auf die Lage des Hubschraubers. Da sie stets einen Schub liefern muss, um das Rückdrehmoment der Tragschraube zu kompensieren, ist auch stets eine horizontal gerichtete Kraft am Hubschrauber vorhanden, die ihn in jeder Fluglage seitwärts bewegen möchte (FS,HeS*cosγ). Um diese auszugleichen und damit eine ungewollte Seitwärtsbewegung zu verhindern, ist eine Neigung der Tragschraubenkraft in die entgegengesetzte Richtung notwendig. Damit hat der normale Hubschrauber schon in der Standschwebe eine Schräglage, sofern nicht die Tragschraube selbst seitwärts geneigt eingebaut wird (wie z.B. in der Mi-24). Die Auswirkungen auf die Fluglage sind in nebenstehender Grafik zur Standschwebe dargestellt, hier betreffen sie Hubschrauber mit rechtsdrehender Tragschraube. Hubschrauber mit linksdrehender Tragschraube weisen entsprechend eine Linksneigung des Rumpfes auf, da die Heckschraube eine Kraft nach rechts produziert und die Maschine (Tragschraube) zu deren Ausgleich nach links geneigt werden muss.

    Gleichgewicht um die Längsachse - Einfluss der Heckschraube auf Neigung des Hubscghraubers und seitliche Bewegung CH-53E: konstruktive Neigung der Heckschraube

    Da die Heckschraube sich mit dem Gesamtsystem Hubschrauber neigt, entwickelt sich in Abhängigkeit von der Schräglage eine vertikale Komponente (nebenstehend als FS,HeS*sinγ formuliert). Die Unterstützung für den Gesamtauftrieb der Maschine ist nicht nennenswert oder zumindest für den Piloten leicht beherrschbar, jedoch entsteht durch die Entfernung des Angriffspunktes der vertikalen Heckschraubenschubes zum Hubschrauber-Schwerpunkt an dieser Stelle ein heckhebendes Moment. Dieses addiert sich mit der ohnehin vorhandenen Wirkung des Heckschrauben-Drehmomentes, welches in Abhängigkeit von der Drehrichtung bughebend oder -senkend ist.
    Normalerweise spielt die vertikale Kraft und das heckhebende Moment eine völlig untergeordnete Rolle; jedoch gibt es auch Maschinen, die durch ihre (Neu)Konstruktion mit einer verlängerten Zelle den Schwerpunkt deutlich hinter die Tragschraubenachse verlegen und somit normalerweise eine starke Heckneigung aufweisen würden. In solchen Fällen wird u.U. die Konstruktion der Heckschraube so geändert, dass diese eine vergrößerten vertikalen Anteil produziert und somit das Heck stärker als in der klassischen Bauart hebt. Ein solches Verfahren wurde beispielsweise bei der CH-53E angewendet. Die Heckschraubenachse ist dabei um deutlich mehr als 90° gegenüber der Tragschraubenachse geneigt. Die Heckschraubenkraft ist nach rechts und oben gerichtet und hebt damit das Heck.

  • Fenestron® (ummantelte, integrierte Heckschraube in der Seitenflosse)

    Fenestron

    Die Nachteile von Druck- oder Zugschrauben bestehen nicht mehr, da das Fenestron nicht mehr vor oder hinter einer Seitenflosse sitzt. Die Ummantelung führt darüber hinaus zu einer Verbesserung des Wirkungsgrades und zu einer Senkung des Geräuschpegels, da an den Blattenden kaum Wirbel entstehen können. Im Fenestron werden sehr viele Blätter -gemessen an einer herkömmlichen Heckschraube- verwendet, die beim "Original-Fenestron" zudem noch mit wechselndem Abstand voneinander montiert sind. Damit werden die entstehenden Geräusche auf mehrer Frequenzbänder verteilt und tragen zur Lärmminderung bei.

    Zwar erfordert diese Heckschraubenlösung einen höheren technischen Aufwand, die Vorteile rechtfertigen diesen jedoch. Fenestrons werden z.B. bei Eurocopter verwendet, deren geschützter Markenname der Begriff "Fenestron" inzwischen ist. (Die Entwicklung des Systems mit diesem Namen  begann bei der inzwischen zu Eurocopter gehörenden französischen Firma Sud Aviation).

    Allerdings wird in zunehmendem Maße die Entwicklung auch bei anderen Hubschrauberherstellern eingesetzt, sogar die Firma Kamow(!) setzt in ihrem Ka-60 eine solche ummantelte Heckschraube ein.

  • Luftstrahl-Steuerung (NOTAR-System)

    Das NO TAIL ROTOR System wurde von McDonnel Douglas (MDD)entwickelt. Statt einer Heckschraube erzeugt im Heckträger/ Rumpf ein Gebläse einen hinreichend starken Luftstrom, der in seiner Richtung gesteuert aus dem Ende des Heckträgers austritt. Damit ist eine Dosierung der (nach rechts gerichteten) Kraft möglich. Zusätzlich zu der Kraft durch den ausgeblasenen Luftstrom am Ende des Heckträgers wird die Kraft durch den Coanda-Effekt genutzt, die durch Ausblasen eines Luftstromes an der Seite des Heckträgers entsteht.

Einfluss von seitlichen Anströmungen auf die Heckschraube

Analogiebetrachtungen von Trag- und Heckschraube (die vereinfacht als eine nach links gekippte Tragschraube angesehen werden kann) führen zu der Erkenntnis, dass

  • (oftmals böiger) Seitenwind von rechts
  • Drehen des HS nach links
  • Schieben des HS nach rechts

zu vergleichbaren, z.T. schwierigen Anströmverhältnissen führen wie die Anströmung der Tragschraube von unten. Die Betrachtungen des Einflusses von Sinken auf die Tragschraube erfolgte bereits weiter oben. Die Anströmung der Heckschraube von rechts, was durch die eben genannten Drehungen nach links oder durch Seitenwind von rechts erreicht wird, führt zu einer Anstellwinkelvergrößerung an den Heckschraubenblättern. Oberhalb einer bestimmten Seitenwindgeschwindigkeit (Mi-8: ca 5m/s) überschreiten die spitzennahen Bereiche den kritischen Anstellwinkel und die Strömung beginnt abzureißen. Die Folge ist ein verminderter Heckschraubenschub und damit ein mangelnder Ausgleich der Tragschraubenrückdrehmomentes: der Huschschrauber beginnt nach links zu drehen. Der HSF tritt nun das rechte Pedal. Die Vergrößerung des Einstellwinkels der Heckschraube bringt in den nicht überkritischen Bereichen eine Vergrößerung des Schubes und gleicht damit die Linksdrehung aus. In gleichem Maße verringert sich aber die Steuerreserve, da das Pedal mehr an den rechten Anschlag rückt. Erreicht das Pedal den Anschlag, ist der Hubschrauber praktisch nicht mehr steuerbar. Wird die Geschwindigkeit der Antrömung der Heckschraube zu groß, so wird auch an dieser analog zur Tragschraube ein Wirbelringzustand erreicht.

Besonderheiten des Gefechtseinsatzes : Ausfall der Heckschraube (Mi-x)

Die Heckschraube kann während des Gefechtseinsatzes auf mehrere Arten beschädigt werden:

  • Zerstörung von Blättern oder -elementen
  • Zerstörung des Steuermechanismus des Endgetriebes
  • Verklemmen des Steuermechanismus zwischen Pedalen und Spindelmechanismus.

Generell wird die Beschädigung der Heckschraube als überaus wahrscheinlich eingeschätzt, da sie ein relativ großes Ziel abgibt.

Gefährlich ist der Fall der Beschädigung von Heckschraubenblättern, deren Abriss o.ä. Der Heckschraubenschub fällt schlagartig ab, der Hubschrauber beginnt sofort nach links zu drehen. Hier können mehrer Umdrehungen des Hubschraubers um die Hochachse in kürzester Zeit auftreten (4..5 rad/s), wobei diese Tendenz von der Fluggeschwindigkeit abhängig ist. Allgemeine Gleichgewichtsstörungen führen zu heftigen Quer- und Längsbewegungen und -schwingungen, die die Steuerreserven des Steuerknüppels erschöpfen. Die Kraftverstärker arbeiten an der Grenze ihrer Leistung, so dass Steuerbewegungen nicht mehr ausgeführt werden können. Verstärkt werden diese Erscheinungen durch den wahrscheinlichen Bruch und ein Abreißen des Endträgers, da die extreme Unwucht der Heckschraube die Materuialbelastbarkeit überschreitet. Für das teilweise Zerstören der Heckschraube wird bereits eine Zeit bis zum Bruch des Endträgfers von ca. 1 Minute angegeben. Der Hubschrauber senkt zunehmend den Bug, da das Gleichgewicht nicht mehr gehalten wird (fehlende Masse).

Nur teilweise ist das fehlende Blatt durch Treten des rechten Pedals kompensierbar, damit wird der Einstellwinkel an den verbleibenden Blättern erhöht und ein größerer Schub der Heckschraube sichergestellt.

Eine Zerstörung des Steuermechanismus im Endgetriebe, der für die Einstellung der Winkel der Heckschraubenblätter zuständig ist, führt zu einer automatischen Einstellung eines für jeden Hubschraubertyp unterschiedlichen kleinen Einstellwinkels. Der Heckschraubenschub verringert sich auf einen geringen Betrag und kann durch die Pedale nicht mehr verändert werden. Der Hubschrauber wird - abhängig von der momentanen Fluggeschwindigkeit - nach links oder rechts einkurven. Der Einstellwinkel der Blätter nimmt einen typischen Wert an, bei der Mi-2 5°. Diese 5° entsprechend der Stellung bei einer Fluggeschwindigkeit von 70km/h. Der HSF muss diese Geschwindigkeit einnehmen und kann den Flug ohne Schieben fortsetzen. Der Flug kann ebenfalls mit anderen Geschwindigkeiten fortgesetzt werden, jedoch muss dann die Richtung über einen Schiebewinkel gehalten werden. Auf Grund der konstruktiven Besonderheit, dass der Druckpunkt hinter dem Schwerpunkt liegt, erzeugt ein Linksschieben eine Rumpfdrehung nach links und umgekehrt.

Das Verklemmen der Heckschraubensteuerung infolge Beschusses kann eine Blockade der Pedale verursachen. Eine Steuerung des Heckschraubeneinstellwinkels ist damit nicht mehr möglich. Im Gegensatz zur Zerstörung des Steuermechanismus kann der Einstellwinkel auf dem Wert "eingefroren" werden, der zum Zeitpunkt des Ausfalls herrschte. Günstig ist es, wenn hier Fluggeschwindigkeiten eingenommen werden, deren Stellung der Heckschraube der der zuvor eingestellten Geschwindigkeit entsprechen; diese ergeben sich aus dem Geschwindigkeit-Leistungsdiagramm; so ist bei der Mi-2 eine solche Paarung z.B. 200 und 90km/h. Generell muss mit Einnahme von Schräglage und Schiebewinkel der Hubschrauber auf Kurs gehalten werden.